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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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erhob sich und ging aus dem Zimmer. Abschaffel lehnte sich im Stuhl zurück und wollte eine Weile schweigen. In seiner Ermüdung begriff er zunächst nicht, daß er auch enttäuscht war. Er fand es ganz unglaublich, daß sich der Vater für die Technik von Automaten in einer ganz anderen Stadt zu interessieren schien. Der Vater war in Mannheim geboren und hatte die Stadt nur in seiner Jugend vorübergehend und kurz verlassen. Er war über siebzig Jahre alt geworden, und in den letzten zwanzig Jahren hatte er seine Heimatstadt nicht mehr verlassen. Abschaffels Ermüdung war nun vollkommen in Enttäuschung übergegangen. Er fühlte sich matt und leer, und er war dabei, einen Entschluß zum baldigen Aufbruch zu fassen. Die Mutter zog ihre Strickweste über der Brust zusammen, sah aus dem Fenster und sagte: Es wird früh dunkel. Willst du noch Kaffee, fragte die Mutter, und Abschaffel verneinte. Der Vater kam ins Zimmer zurück, blieb kurz stehen und ließ einen Furz laut entweichen und setzte sich an den Tisch zurück. Die Mutter erschrak, aber sie erschrak nicht wirklich. Ein Furz des Vaters löste bei der Mutter automatisch ein erschrockenes Verhalten aus. Der Vater furzte nur in seiner Familie; bei fremden Leuten traute er es sich nicht, wenn Besuch da war, auch nicht. In früheren Jahren hatte Abschaffel den Vater intensiv gehaßt, wenn er gefurzt hatte. Nun war er erstaunt, daß er kaum noch etwas Feindliches empfand. Nur ein grenzenloses Mitleid kam wie etwas Warmes über ihn; es war ein angenehmes Gefühl, weil es ein Gefühl des Überlegenseins war, auch ein Gefühl der Bestätigung dafür, daß die Zeit, in der der Vater seinen Sohn schädigen konnte, schon lange zu Ende war. Jeder Furz, den der Vater heute ließ, war eine Unterstreichung dieses Sachverhalts, ohne diesen Sachverhalt neu fortsetzten zu können. Abschaffels Stimmung besserte sich wieder. Je deutlicher er sich machte, daß er nur die Wohnung der Eltern zu verlassen brauchte, um frei zu sein, desto mehr kehrten gute Gefühle zurück. Und er war entschlossen, diese Freiheit sofort einzulösen. Eigentlich war es unschicklich, plötzlich und nach so kurzer Besuchszeit wieder zu gehen. Es war erst halb fünf nachmittags, und Abschaffel war noch nicht zwei volle Stunden bei den Eltern gewesen. Er hatte seine Eltern noch niemals überraschend verlassen; wenn er ging, dann ging er zu den passenden Stunden und Gelegenheiten; in allen Demütigungen wahrte er die Formen. In Wirklichkeit war es auch schon wieder zu spät, überraschend wegzugehen. Aus seinem Entschluß war ein langer Blick an die Zimmerdecke geworden, der immer noch anhielt.
    Abschaffel nahm sich die Brille ab und begann sie zu putzen. Aus der Hosentasche hatte er ein schon benutztes Papiertaschentuch herausgezogen, damit rieb er die Gläser. Der Vater sah es, er stand auf und ging zu seiner Schreibtischschublade. Ich kann dir ein Putztuch schenken, sagte er. Er öffnete die Schublade und holte ein kleines, hellbeiges, weiches Brillenputztuch heraus und gab es Abschaffel, der darüber schon wieder böse wurde. Der Vater wurde nur lebendig, wenn er irgendwo sparen oder putzen konnte oder jemanden in diesen beiden Tätigkeiten unterstützen durfte. Der Vater sah aus der Nähe zu, wie Abschaffel mit dem neuen Tuch seine Brillengläser putzte, und Abschaffel spürte den Zorn darüber so dicht hinter seinen Augen sitzen, daß er wirklich dachte: Wenn er es wagt, mir Ratschläge zum Brillenputzen zu geben, dann schlage ich ihm mit der Faust ins Gesicht, daß er durch das Zimmer fliegt und sein ganzes Hemd schmutzig wird. Doch der Vater sagte nichts, er sah nur zu, atmete etwas zu heftig dabei, und er freute sich, daß er etwas zur Erleichterung des Lebens seines Sohnes hatte beitragen können.
    Es war eine entsetzliche Arbeit für Abschaffel, von dieser Wut auf seinen Vater wieder herunterzukommen. Er brauchte eine gute halbe Stunde, um sich einigermaßen zu beruhigen; in dieser halben Stunde bemerkte er kaum, was um ihn herum vorging und was gesagt wurde. Ganz entfernt nahm er wahr, wie der Vater umständlich erklärte, wo er das Brillenputztuch, das er Abschaffel geschenkt hatte, eigentlich herhatte, aber Abschaffel verstand es nur halb, weil er zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Er war bei einer großen Müdigkeit angelangt, die immer für ihn übrigblieb, wenn er einen Zorn erfolgreich niedergekämpft hatte. Als er sich einigermaßen erholt hatte, verließ er die Eltern. Es ging ganz

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