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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Geschenke nichts mit ihr zu tun gehabt hatten und welch ein monströses Kind hier heranwuchs, das sie beschenkte, als sei sie die Spülfrau einer riesigen Volksküche und er, das Kind Abschaffel, sei schon der Direktor dieser Anstalt. Am Tag vor ihrem Geburtstag backte sie einen Kuchen, der von Abschaffel am nächsten Tag mit zu den Geschenken auf den Tisch gestellt werden konnte, und am Vorabend, kurz bevor sie ins Bett ging, zog sie eine frische Tischdecke über den Tisch, weil sie wußte, daß die anderen, der Mann und das Kind, am Morgen ihres Geburtstages nicht damit zu Rande kamen, eine frische Tischdecke zu suchen, zu finden und sie fachmännisch auf dem Tisch auszubreiten. Der Vater mochte sich nicht, wenn er schreiben mußte, und deswegen mußte Abschaffel am Vorabend des Geburtstages eine Geburtstagskarte verfassen. Er füllte die Karte nur aus mit einem einzigen Satz, der Jahr für Jahr wiederkehrte. ZU DEINEM GEBURTSTAG WÜNSCHEN WIR DIR VOR ALLEM GESUNDHEIT UND ALLES LIEBE UND GUTE. Abschaffel stellte die Karte, mit dem Blumenbild nach vorn, am Vorabend aufrecht gegen den Kuchen.
    Die Mutter holte aus ihrem Geldbeutel eine Straßenbahnfahrkarte heraus und legte sie Abschaffel hin. Damit kannst du nachher zum Bahnhof fahren, sagte sie. Oh, danke, sagte Abschaffel überrascht, das ist nicht nötig, ich kann mir eine Straßenbahnfahrkarte kaufen. Nimm sie nur, sagte der Vater, das kannst du schon sparen. Aber in Mannheim kann man doch noch Fahrkarten vorn beim Fahrer kaufen? fragte Abschaffel. Ja, aber dann sind sie mehr als dreißig Pfennig teurer, sagte der Vater. Die Karte, die du jetzt von der Mutti gekriegt hast, diese Karte stammt von einer Sammelkarte, und dann kostet die Fahrkarte genau sechsundsechzig und ein Drittel Pfennig. Wenn du die Karte einzeln beim Fahrer kaufst, mußt du eine Mark bezahlen, sagte der Vater, und Abschaffel traute sich nicht zu sagen, daß ihm das gleichgültig war. In Frankfurt geht das nicht mehr, sagte er statt dessen. So, sagte der Vater, ja, wo kriegt man denn dort die Karten? Aus Automaten, sagte Abschaffel. An jeder Haltestelle steht ein blauer Automat, der so groß ist wie euer Schrank hier, und da wirfst du achtzig Pfennig rein, und dann kommt eine Fahrkarte unten raus. So, sagte der Vater, und darf man damit auch umsteigen? Ja, sagte Abschaffel, das darf man. Und habt ihr in Frankfurt auch Entwerter wie hier? fragte der Vater. Nein, sagte Abschaffel, die Karte ist, wenn sie aus dem Automaten kommt, schon entwertet. So, sagte der Vater voller Teilnahme, das ist aber praktisch, na ja, in Frankfurt ist eben alles größer und praktischer, es ist sogar billiger als hier, achtzig Pfennig kostet eine Fahrt dort, sagte der Vater. Ja, sagte Abschaffel, zur Hauptverkehrszeit kostet eine Fahrt auch eine Mark, genau wie hier, also zwischen vier und sechs Uhr nachmittags kostet eine Fahrt eine Mark. Ja und, sagte der Vater, wer macht denn das, muß man dann, wenn man zwischen vier und sechs fährt, nachzahlen beim Fahrer? Nein, sagte Abschaffel, das macht der Automat von sich aus. So, sagte der Vater, das ist ja allerhand. Auf jedem Automat, erklärte Abschaffel, ist das ganze Fahrgebiet schematisch aufgezeichnet; es gibt den Stadtkern als eigene Fahrzone, und um den Stadtkern herum verschiedene weitere Fahrzonen; wenn man nun vor dem Automaten steht, dann muß man zunächst feststellen, wo man hinfahren will, oder anders gesagt, sagte Abschaffel, man muß feststellen, welche Farbe die Fahrzone hat, in die man gelangen will, verstehst du? Ja, ja, sagte der Vater. Und wenn man das festgestellt hat, sagte Abschaffel, dann drückt man rechts auf einen Knopf mit derselben Farbe, die auch das Fahrziel in der Fahrzone hat, wo man hinwill, und dann leuchtet oben auf einer elektronischen Tafel der Fahrpreis auf, den du in den Automaten reinwerfen mußt, damit du eine gültige Fahrkarte kriegst, sagte Abschaffel. Und wenn man kein abgezähltes Kleingeld hat? fragte der Vater. Das ist nicht schlimm, sagte Abschaffel, weil der Automat auch Wechselgeld zurückgibt. Auch Papiergeld? fragte der Vater. Nein, Papiergeld nicht, das darf man nicht reinwerfen, sagte Abschaffel, und der Automat erhöht automatisch zwischen vier und sechs die Preise, und er senkt automatisch die Preise, wenn es nach sechs geworden ist. Alles vollautomatisch? fragte der Vater. Ja, sagte Abschaffel.
    Die Darstellung der Funktionsweise von Fahrkartenautomaten hatte Abschaffel ermüdet. Ja, ja, sagte der Vater und

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