Abschaffel
Gestalten in dunklen Mänteln. Sie bildeten Gruppen von sechs, sieben, acht Männern; ihr Verhalten glich ihren Auftritten auf Bahnhöfen: Einer kauft sich eine Fahrkarte, und die anderen beraten und schützen ihn dabei. Und wenn der Kauf einer Fahrkarte gelungen ist, traut sich der nächste etwas leichter und schneller. Abschaffel war einer der ganz wenigen, die allein auf- und abgingen. Er bemühte sich, nicht stehenzubleiben, denn Stehenbleiben wurde von den Frauen als ihnen geltendes Einzelinteresse ausgelegt. Er lief sogar etwas zu schnell; es war ihm kaum möglich, innezuhalten und sich die Mädchen anzuschauen, noch weniger, sich eines davon auszuwählen. Es gefiel ihm auch nicht, von so vielen beobachtet zu werden, und er hatte vollständig vergessen, was er sich alles gedacht und vorgestellt hatte, einmal eine Alte, dann eine ganz Junge zu nehmen. Es mußte etwas geschehen, und dann wollte er nach Hause. Er haßte seine Aufgeregtheit. Er ging schon zum drittenmal die Straße entlang, diesmal nahe den Fenstern, und er wurde animiert und angerufen. Er hatte sich geschäftige und eilige Bewegungen zugelegt, und es fiel ihm auf, daß er so ging, als sei er schon bei einem Mädchen gewesen. Alle sollten annehmen, daß er, Abschaffel, von niemand etwas wolle und daß mit ihm alles in Ordnung sei. Und wenn er stehenblieb, dann sollte es aussehen, als wolle er sich erkundigen, ob auch bei den anderen alles in Ordnung sei. Er blieb plötzlich vor einem sehr jungen Mädchen stehen. Das Mädchen war aus einem Hausflur herausgekommen und blieb an der Tür stehen. Gehst du mit? sagte sie. Was kostet es bei dir? fragte Abschaffel. Zwanzig Mark, sagte sie.
Abschaffel ging mit ihr, und er war sofort erleichtert. Ihn wunderte der lächerliche Preis von zwanzig Mark. In Frankfurt fingen die Mädchen nicht unter sechzig Mark an. Sie wohnte offenbar auch in dem Zimmer, in dem sie ihn empfing. Es standen zwei Betten da, eines, das aussah wie ein Schlafbett, breit und mit weißem Bettzeug obendrüber, links und rechts des Kopfkissens bauschten sich Flauschfiguren, eine Mickymaus und ein Donald Duck, und auf dem Nachttisch neben dem Bett lagen zwei bunte Ferienpostkarten. Machen wir nackt? sagte sie, und Abschaffel sagte: Ja. Es dauerte wieder lange, bis Abschaffel ausgezogen war. Er sah jedes Kleidungsstück, bevor er es auf einen Stuhl legte, noch einmal an; am liebsten wäre er in ständiger Blickverbindung mit seinen Kleidern geblieben. Das kostet einen Zehner mehr, sagte sie, und Abschaffel legte ihr das Mehrgeld auf den Tisch. Er wollte in ihr Schlafbett gehen, obwohl sie schon eine Weile auf dem Rand des anderen Bettes saß, und als sie sagte: Komm hierher, freute er sich über die Schönheit seines Irrtums. Unter nackt verstand sie, daß er sich ganz auszog, sie ihren Pulli jedoch nur hochschob bis zur Büstenhaltergrenze. Aus einem geflochtenen Körbchen auf dem Tisch nahm sie ein Präservativ, riß es aus der Packung und zog es Abschaffel über. Er saß neben ihr. Sie hatte die Hand an seinem Glied und bewegte es auf und ab, und Abschaffel sah in ihrem Zimmer umher. Sein Glied wurde nicht fest, und Abschaffel betrachtete seine Kleider. Sollen wir vorher etwas Französisch machen? fragte sie. Was kostet das mehr, fragte er. Du bei mir und ich bei dir sechzig Mark, sagte sie. Ich will nicht, sagte Abschaffel. Dann dreißig, sagte sie. Gut ja, sagte er. Leg dich hin, sagte sie. Er legte sich, und sie setzte sich rücklings auf den Rand. Sie beugte sich herunter, da klopfte es an der Tür. Ich habe einen Gast, rief sie laut, und das Klopfen hörte auf. Abschaffel schnaufte und wollte nach Hause. Sie tat so, als leckte sie ihm das Glied, sie bewegte den Kopf auf und ab und sagte, sie müsse ihr Kaugummi herausnehmen. Du tust überhaupt nichts, sagte Abschaffel, laß los. Du kommst nicht, sagte sie, du kommst nicht. Wir hören auf, sagte Abschaffel, laß los. Sie stand auf, und Abschaffel strengte sich an, durch schnelles Ankleiden sein Beleidigtsein auszudrücken. Er glaubte, er wollte ihr lediglich vorspielen, daß er böse sei, und er merkte nicht gleich, daß er es wirklich war. Ich bin einer blöden Betrügerin in die Hände gefallen, dachte er. Schon daran, daß sie unter nackt nur Pulloverhochstreifen verstand, hätte ich merken müssen, daß ich einer Faulenzerin gefolgt bin, beschimpfte er sich. Nun, für viel Geld gibt es intelligenten Betrug, und für wenig Geld, wie hier in Mannheim, gibt es kleinlichen und dummen
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