Abschaffel
die Aktentasche und die Plastiktüte mit dem neuen Bademantel und verließ wortlos das Büro.
In weniger als einer Minute war der Großraum leer. Nur Abschaffel und ein anderer Angestellter aus der Lagerabteilung, der die Ankunft einer Lkw-Ladung mit Fernsehgeräten aus Stuttgart überwachen mußte, blieben zurück. Der Spätdienst würde Abschaffel heute nicht allzulange im Büro festhalten. Heute wurden nur die Sammelverkehre Düsseldorf und Aachen abgefertigt, und diese beiden Waggons waren schon zu zwei Dritteln geladen. Sergio war der Vorarbeiter des Düsseldorfer Waggons, und Sergio war zuverlässig und flink. Hartmann, der Vorarbeiter des Aachener Waggons, arbeitete nicht ganz so rasch, aber auch zuverlässig.
Im Büro war es still geworden. Ein junger Gärtner fuhr mit einem Stahlwagen umher und stutzte die Büropflanzen. Abschaffel sah ihm eine Weile zu, wie er welk gewordene Blätter und Stengel in den Wagen warf. Ajax plante schon lange, die echten Büropflanzen gegen falsche auszutauschen, weil ihm die Betreuung der echten Pflanzen inzwischen zu teuer geworden war. Alle zehn bis vierzehn Tage schickte die beauftragte Gärtnerei einen Gärtner zur Wartung des Bürogrüns. Viele der Pflanzen gingen laufend ein und mußten durch neue ersetzt werden. Außerdem benutzten viele Angestellte die großen Erdkübel als Aschenbecher; und als Ajax in einer scharf formulierten Aktennotiz die Verwendung der Erdkübel als Aschenbecher untersagte, gingen die Angestellten dazu über, ihre Kippen mit ausgestrecktem Zeigefinger tief in der Erde zu versenken. Natürlich blieben auch die versenkten Kippen der Gärtnerei nicht verborgen; wieder traf bei Ajax ein Beschwerdebrief ein, wonach es kein Wunder sei, daß die hochempfindlichen Pflanzen bei dieser dauerhaften Vergiftung der Erde immer wieder eingingen. Daraufhin drohte Ajax den Angestellten an, die echten Pflanzen bald gegen Plastikblumen auszutauschen. Das war der letzte Stand des Pflanzenstreits. Den Männern war die Angelegenheit gleichgültig, aber die Frauen kämpften für die Erhaltung der echten Pflanzen. Ajax und seine Referenten redeten immer wieder werbend davon, daß man die echten von den falschen Pflanzen sowieso nicht unterscheiden könne, noch nicht einmal aus fünf Zentimeter Entfernung. Die Frauen stießen kleine Schreie aus, wenn sie diese Meinung hörten, einige drohten sogar mit der Kündigung. Es war eine gespielte Drohung, die niemand ernst nahm. Überhaupt nahm niemand den Streit um die Pflanzen wirklich ernst; er war nur eine Gelegenheit, auf eine gespielte Weise gegensätzlicher Meinung sein zu können.
Außer dem jungen Gärtner liefen die Putzfrauen im Büro umher. Als Abschaffel beobachtete, wie sie die vollen Aschenbecher in einen kleinen Eimer schütteten, hatte er den Einfall, den Inhalt von ein oder zwei vollen Aschenbechern komplett etwa eine Handbreit tief in einem der Pflanzenkübel zu versenken. Er mußte leise kichern, als er sich das wochenlange Hin und Her mit Auftritten, Besprechungen und Briefwechseln vorstellte, das sich nach der Entdeckung der Kippen sicher entwickelte. Aber wessen Aschenbecher sollte er dazu nehmen? Genaugenommen mußte er, überlegte er, Kippen von draußen mitbringen, noch dazu Kippen einer Marke, die niemand rauchte, so daß niemand im Büro in Verdacht geraten konnte. Wenn so viele Kippen auf einmal entdeckt würden, dann hieß das, daß Ajax endgültig die Pflanzen entfernen ließ. Abschaffel dachte noch eine Weile über seinen Plan nach, aber er spürte bereits, daß die Lust an der Ausführung rasch nachließ, und darüber ärgerte er sich. Warum hatte er so oft Einfälle, die sich nach kurzer Überlegung als töricht und unvernünftig herausstellten? Er wollte, indem er einen Aschenbecher voll mit Kippen versenkte, ein Geheimnis schaffen, über das alle Kollegen rätseln mußten. Nur er, als einziger, sollte von der Harmlosigkeit des Geheimnisses wissen. Nein, es war alles ein großer Quatsch und kein Geheimnis. Abschaffel spürte, daß er bald aus diesem Büro herausmußte, wenn er nicht noch mehr Quatsch denken wollte; aber so war es manchmal, wenn die Tage zu lange dauerten.
Da kam schon Sergio und kurz nach ihm Hartmann, und beide meldeten den Abschluß der Ladearbeiten an ihren Waggons. Abschaffel ließ sich von beiden Waggons die Tonnage geben. Er tippte die Frachtbriefe zu Ende und rief die Bundesbahn an, damit die fertigen Waggons abgezogen wurden. Es war siebzehn Uhr fünfundvierzig, und
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