Abschaffel
Teller kippen. Am Tisch breitete sich Niedergeschlagenheit aus. Jeder aß still vor sich hin. Hornung spürte, wie sehr sich die Traurigkeit auf ihn bezog, und er versuchte, ein paar peinliche Witzchen zu machen. Wer weiß, wie das Geschlechtsteil des Papstes heißt? fragte er. Niemand sagte etwas. Es war, als sei jeder am Tisch von Hornung in einen eiskalten Keller gestellt worden, bis zum Hals versunken in einem Dreck, der aus Scham bestand. Ist doch ganz einfach: Bimbam, sagte Hornung und blickte auf.
Die Niedergeschlagenheit war so nachwirkend, daß sie auf Abschaffel jetzt noch Einfluß hatte. Er führte seine Hand deswegen so gleichmäßig über Margots Leib, weil er mit seinem Kopf bei dieser rastlosen Trauerwiederholung war, aus der Hornungs Leben bestand. Margot bemerkte von alldem nichts, und sie fragte auch nicht, woran er gerade dachte. Vermutlich hätte er es ihr auch nicht gesagt. Bis sie sich plötzlich bewegte und sich in eine Stellung brachte, in der sie ihn streicheln konnte. Sie zog ihm das Hemd aus und fuhr mit ihren scharfen Fingernägeln über seinen Rücken. Es gefiel ihm, obwohl es ihn in Spannung versetzte. Er dachte schon wieder an Hornung. Was er jetzt machte? Wahrscheinlich mußte er wieder dummes Zeug machen, das war sein Schicksal. Margot zog Abschaffel die Hose aus und drängte ihn, sich auf den Rücken zu legen. Sie faßte ihm an das Geschlecht und begann, es ihm mit der Hand zu machen. Darauf war er nicht gefaßt; er hatte geglaubt, langsam neben Margot einschlafen zu können. Deswegen war er zuvor, ohne es sich bewußt gemacht zu haben, zu dieser Art von schläfriger Zärtlichkeit übergegangen, die nicht erregte, sondern eher angenehm müde machte. Statt dessen saß ihm Margot auf dem Unterleib und hatte die Hand an seinem Geschlecht. Offenbar war sie der Meinung, von ihm zuvor gut behandelt worden zu sein, und nun wollte sie sich revanchieren. Abschaffel legte sich den Arm über das Gesicht wie immer, wenn ihm das Geschlechtsleben zu naheging. Margot bewegte ihre Hand wie ein Mann. Er konnte kaum abwarten, bis es ihm kam, weil er unruhig darüber war, was mit dem Samen geschehen würde. Vorsichtshalber legte er die andere Hand in die Nähe des Geschlechts. Mit dieser Hand wollte er den Samen abfangen, wenn es soweit war. So geschah es auch wenig später. Margot stieg von ihm herunter, und Abschaffel erhob sich, um sich abzuwaschen. Laß es doch eintrocknen, sagte Margot, als er hinausging. Margot konnte mit dem männlichen Geschlecht fast besser umgehen als er selbst. Vollkommen stumm kam er aus der Toilette zurück. Er hatte sich gefragt, ob sein Gefallen an dieser Befriedigung wichtiger war als die einschränkenden Wirkungen der Scham, die dabei frei geworden waren. Diese ewigen Fragen an seinen Körper machten seinen Leib ganz dumm. Er legte sich neben Margot. Sie begann, ihm einen Film zu erzählen, den sie im Fernsehen gesehen hatte; sie erzählte ausführlich und setzte sich dabei im Bett auf, um einzelne Gesten der Darsteller besser nachahmen zu können. Wie immer, wenn der Same weg war, ermüdete Abschaffels Körper total. Die Müdigkeit nach dem Erguß war die größte, die er überhaupt kannte. Es war eine Folter, danach noch an irgend etwas teilnehmen zu müssen. Trotzdem strengte er sich ganz unsinnig an, nicht vor ihr einzuschlafen. Sie saß im Schneidersitz neben seinem liegenden Oberkörper und redete in sein schläfriges Gesicht. Auch seine fast ganz zugekniffenen Augen hielten sie nicht vom Reden ab.
In dieser Woche hatte Abschaffel Spätdienst. Er mußte ein bis eineinhalb Stunden über den Feierabend hinaus in der Firma bleiben, bis alle Waggons ordentlich verplombt und von der Bundesbahn abgezogen waren. Er lief in der Halle umher und kontrollierte die Verladearbeiten. Eigentlich sollte er die Arbeit nicht nur kontrollieren, sondern vielmehr beschleunigen, die Arbeiter antreiben und Verladefehler verhindern. Immer wieder kam es vor, daß eine Kiste, die nach München sollte, am nächsten Tag in Hamburg oder in Stuttgart ausgeladen wurde. Die einzelnen Verladezüge setzten sich aus vier oder fünf meist ausländischen Arbeitern zusammen, die von einem deutschen Vorarbeiter angeführt wurden. Der Vorarbeiter führte die Ladeliste, und er war verantwortlich für jedes falsch verladene Stück. Verladefehler entschuldigten die deutschen Vorarbeiter gewöhnlich damit, daß sie mit Ausländern arbeiteten. Die Fluktuation unter den Ausländern war stark. Oft waren sie
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