Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
Vom Netzwerk:
ist teuer, fast unerschwinglich. Ein Eisschrank oder ein Auto ist eigentlich kaum zu bezahlen bei denen, sagte Ronselt, aber die Leute drüben können wenigstens die Reihenfolge verstehen, weil sie richtig ist. Aber bei uns? Es ist nicht zu verstehen, daß drei Tage London so billig sind, ein halber Liter Milch aber ein halbes Vermögen kostet.
    An diesem Punkt hatte Ronselt aufgehört zu reden. Er zog sein Taschentuch, putzte sich die Nase und sah sich danach von allen Seiten den Rotz an, den er sich ins Taschentuch geschneuzt hatte. Abschaffel ekelte sich und wollte zuerst sogar aufstehen und kurz in der Toilette verschwinden. Er blieb, aber es war ihm nicht möglich, mit Ronselt eine Bademantelunterhaltung zu beginnen, obwohl er tiefes Verständnis dafür hatte, wenn Menschen die rätselhaften Absonderungen ihres Körpers betrachteten. Aber vielleicht war es auch so gewesen, daß Ronselt auf seine Komplimente für den Ostblock gar nicht genauer angesprochen werden wollte. Ronselt liebte es, gelegentlich etwas Ungewöhnliches zu sagen. Abschaffel glaubte, Ronselt wollte sich nur bitter vorkommen und darin auch nicht gestört werden. Ronselt hatte die Angelegenheit auch so dargestellt, daß nicht klargeworden war, ob er sich selbst zu denjenigen zählte, die sich nur das eben Notwendige leisten konnten, oder schon zu den anderen, die gut und billig lebten. Vermutlich wußte Ronselt das selbst nicht und schwankte von dieser zu jener Meinung und wieder zurück. Es war sogar möglich gewesen, daß er beide Meinungen von sich zugleich hatte und daß er sich gerade deswegen bitter vorkommen wollte. Immerhin handelte es sich um den ersten Bademantel seines Lebens. Und er hatte ihn sich nur gekauft, weil der geheimnisvolle Überflußkapitalismus ein launisches Sonderangebot hergerichtet hatte. Diese merkwürdigen Sonderangebote führten vielleicht überhaupt dazu, daß die Menschen nicht mehr wußten, woran sie sich halten sollten, ob sie arm waren oder reich oder mal dieses und dann wieder jenes.
    Weil Abschaffel am Nachmittag nicht auf Ronselts Bademantelrede eingegangen war, hatte Ronselt offenbar beschlossen, für den Rest dieses Nachmittags zu schweigen. Überhaupt hatte niemand so richtig seinen Bademantel würdigen wollen. Tatsächlich war diese Zurückhaltung kaum zu verstehen. Wenn Fräulein Schindler eine neue Handtasche hatte, dann redete Frau Schönböck eine Dreiviertelstunde über Handtaschen. Wenn Hornung sich ein billiges Sommerhemd gekauft hatte, dann zwang er die Kollegen, an einer Sommerhemdunterhaltung teilzunehmen. Nur wer, wie Ronselt, das Pech hatte, ihm, Abschaffel, gegenüberzusitzen, ging leer aus. Genaugenommen war es Abschaffel nicht möglich, über Bademäntel zu sprechen. Tief innen war er sogar der Meinung, jemand, der ihn veranlassen wollte, über Bademäntel zu sprechen, müßte dafür bestraft werden. Und tatsächlich, als sich Abschaffel, was er selten machte, eine Coca-Cola aus dem Automaten holte und mit frisch geöffneter Flasche an seinen Platz zurückkehrte, fiel ihm ein, daß Ronselt viel öfter Coca-Cola trank als er. Abschaffel hätte ihm eine Flasche mitbringen können. Damit hatte er immerhin eine kleine Strafe für die wirre Bademantelrede zustande gebracht. Dieser Ronselt bildete sich doch tatsächlich ein, am Beispiel eines Bademantels zugleich über Butter und Kommunismus und Flugreisen reden zu können. Ein großer Zauberer hätte erscheinen und diesen Ronselt in einen Regenwurm verwandeln müssen.
    Ronselt hielt durch, bis zum Feierabend kein Wort mehr mit Abschaffel zu sprechen. In wenigen Minuten war der Bürotag zu Ende. Abschaffel spürte, seine Colaflasche austrinkend, daß Ronselt ihn für einen Mistkäfer hielt. Ronselt hatte schon seinen Schreibtisch aufgeräumt und seine Arbeitsutensilien in die für ihn richtige Reihenfolge nebeneinander geordnet; ganz links der Locher, daneben die Schere und die Leimflasche, dann der Büroklammerbehälter und der Notizblock und ganz rechts das Glasgefäß mit den Kugelschreibern und Bleistiften. Die Handrechenmaschine schloß er in den linken Seitenteil des Schreibtischs ein. Ronselt saß da und wartete die letzten drei Minuten ab. Er zeigte, daß es nicht die Firma war, die er so dringend zu verlassen wünschte, sondern den Kollegen von gegenüber. Ronselt war sonst nicht der Typ, der auf den Feierabend wartete. Für ihn war das Büro das Leben. Punkt siebzehn Uhr deckte er seine Schreibmaschine mit dem Plastiküberzug ab, nahm

Weitere Kostenlose Bücher