Abscheu
die bequem eine komplette Fußballausrüstung inklusive Ball passen würde.
Aus Erfahrung weiß ich, dass noch etwas ganz anderes hineinpasst, etwas weit weniger Unschuldiges. Eine Entdeckung, die ich vor zehn Jahren gemacht hatte. Das gleiche Taschenmodell, jedenfalls dieselbe Marke – Puma – und dasselbe Design: schwarz mit weißen Stickereien und Logos.
Vorsichtig greife ich danach. Einer der Henkel hängt am Verschluss des Sicherheitsgurts fest, deswegen hat Fleur sie nicht losbekommen. Ich mache sie los und ziehe sie zu mir heran. Öffne den Reißverschluss, kontrolliere die Seitenfächer. Inspiziere alles schnell, aber so gründlich wie möglich.
Die Tasche ist leer. Aber der Hinweis war deutlich.
Mein Mund ist ganz trocken vor Anspannung, und ich bemerke, dass ich keuchend nach Luft schnappe.
»Mama!«, quengelt Fleur hinter mir. »Was machst du denn da?«
»Nichts, Schatz.« Ich nehme die Tasche von der Rückbank und gehe zur Seite, damit meine Töchter einsteigen können. »Und jetzt rein mit euch.«
Etwa zehn Meter entfernt steht ein Mülleimer, ein abgeplattetes Ding auf zwei Beinen mit einem Schlitz auf der Oberseite. Ob die Tasche da reinpasst?
Wieder kommt ein Bekannter vorbei, der mich grüßt. Diesmal in einem Auto. Geistesabwesend hebe ich die Hand, und plötzlich fällt mir ein, dass es einen ziemlich merkwürdigen Eindruck erwecken könnte, wenn ich am helllichten Tag versuchen würde, eine nagelneue Sporttasche in einen Mülleimer neben der Schule zu stopfen. Ich ziehe die Heckklappe auf und stelle die Tasche neben eine Kiste mit Pfandflaschen.
Als ich mich ans Steuer setze und auf die Straße abbiege, sagt Charlotte. »Igitt, Mama, dein Auto stinkt total ekelhaft.«
»Ja«, pflichtet Fleur ihr übertrieben hustend bei, »nach fiesen Stinkezigaretten.«
»Kann gar nicht sein«, erwidere ich. »Das bildet ihr euch nur ein.« Trotzdem öffne ich das Fenster und stelle das Gebläse auf die höchste Stufe.
20
Harald sitzt am Esstisch im Wohnzimmer und wedelt mit einem an ihn adressierten großen Umschlag, den ich heute Morgen aus dem Briefkasten geholt habe.
»Die Entwürfe?«, rate ich.
Harald öffnet den Umschlag und schaut hinein. »Ja. Großmutters Häuschen.«
Ich stelle mich hinter ihn und lege ihm die Hände auf die Schultern und das Kinn auf den Kopf.
Er schiebt eine Vase beiseite, um auf dem Teakholztisch Platz zu schaffen, und faltet die Zeichnungen auseinander.
Die oberste zeigt einen detaillierten Grundriss: ein quadratisches Wohnzimmer mit einer Art Erker, vermutlich einer offenen Küche, daran anschließend ein Schlafzimmer mit Bad, sogar mit Badewanne. Dazu zwei kleine Räume, die mit »Diele« und »Abstellraum« beschriftet sind.
»Sieht gemütlich aus«, bemerke ich. »Und alles ebenerdig.«
»Es ist allerdings ein bisschen klein, nur dreißig Quadratmeter. Größer kann ich es nicht durchdrücken. Wir werden natürlich ein bisschen schummeln, aber im Großen und Ganzen wird es so aussehen.« Er holt eine zweite Zeichnung unter der ersten hervor und streicht sie glatt. »Und das hier ist die Außenansicht. Derselbe Stil wie die Scheune, passend zu allen Nebengebäuden. Die Außenwände werden grau verputzt und anschließend mit schwarz gebeizten Panelen verkleidet.«
Harald wirft noch mit weiteren architektonischen Fachausdrücken um sich, die mir nicht direkt geläufig sind, aber ich habe schon öfter Bauzeichnungen gesehen und gelernt, sie zu interpretieren. Es wird ein richtig süßes Häuschen, mit flach abfallendem Dach, kleinen Sprossenfenstern und altmodischen Fensterläden. Der Architekt hat einen Baum und einen Mercedes danebengezeichnet, um den Maßstab zu verdeutlichen.
»Welche Farbe sollen die Dachziegel haben?« Unwillkürlich beginne ich, seinen Nacken zu massieren.
»Orange, genau wie die auf der Scheune. Wir wollen übrigens soweit wie möglich alte Materialien verwenden, und wo es nicht geht, auf authentisch aussehende Materialien zurückgreifen. Auf diese Weise kann ich das Projekt bestimmt der Stadt schmackhaft machen.«
»Ich dachte, das hättest du schon auf der Gartenparty geklärt?«
»Dennis habe ich für uns gewonnen, aber das heißt noch lange nicht, dass ich einfach machen kann, was ich will. Er muss seine Entscheidung auch seinen Kollegen gegenüber verantworten und begründen können.«
»Ich bin mir sicher, dass Mama begeistert sein wird. Ich kann es kaum erwarten, ihr davon zu erzählen. Ihre Stadtwohnung ist nicht mehr das
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