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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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besorgter sein soll. Die gute Nachricht ist, dass er sich offenbar noch im Hafen aufhält und nicht auf dem Weg hierher ist. Aber er scheint sich nicht von seiner Absicht abbringen zu lassen. Eben war ich noch überzeugt, ihn überreden zu können. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich tippe eine Antwort:

    Ich kann wirklich nicht weg!!!!
    Ich spiele mit der Idee, einen Kraftausdruck hinzuzufügen, entscheide mich aber dagegen. Vier Ausrufezeichen müssten genügen. Hoffentlich!
    Ich drücke auf »Senden« und lege dann den Daumen auf die Ausschalttaste. Nichts sehen, nichts hören. Fast zerquetsche ich den Apparat. Verdammt noch mal, Marius muss doch einsehen, dass ich nicht so ohne Weiteres meine Familie verlassen kann?
    Das Handy zittert leicht in meiner Hand. Gehetzt betätige ich die Tasten:

    DANN KOMME ICH EBEN ZU DIR!
    O nein! Verzweifelt schließe ich die Augen. »Arschloch«, flüstere ich vor mich hin, »Arschloch, Arschloch, dreckiges, egoistisches Arschloch.«
    Dann gebe ich ein:

    Nein! Ich komme.
    So schnell ich kann
    Ich versende die Nachricht und drücke dann die rote Taste so lange, bis das Handy ausgeschaltet ist. Ich öffne die Toilettentür, gehe zum Garderobenschrank im ehemaligen Alkoven und lasse das Telefon in die Tasche meines grünen Trenchcoats gleiten. Dann eile ich die Treppe hinauf und in den begehbaren Schrank. Marius war geil auf Röcke, sie konnten ihm nicht kurz genug sein, und ich vermute, dass sich das nicht geändert hat. Das relativ kurze Wickelding, das ich jetzt trage, ist daher ungeeignet für ein Treffen.
    Ich streife den Seidenrock ab, lege ihn in den Reinigungskorb und nehme eine Jeans aus dem Regal. Ziehe ein paar dünne Socken an und überlege schon, in ein Paar Sneakers zu schlüpfen. Nein, lieber nicht. Die trage ich nur, wenn ich zum Sport gehe. Die Jeans ist schon grenzwertig.
    Schließlich fällt meine Wahl auf ein paar Stiefeletten mit stumpfen Kappen und halbhohen Absätzen. Dazu ziehe ich eine hellblaue Bluse mit gestärktem Kragen und eine dünne Strickjacke an. Schließlich frische ich noch vor dem Spiegel im Bad mein Make-up auf, wie ich es immer tue, bevor ich das Haus verlasse. Dann gehe ich wieder hinunter.
    Harald sitzt allein im Wohnzimmer. Er sieht sich noch immer die Nachrichten an und hat die Beine angewinkelt und auf das Sofa gezogen.
    »Gerda hat angerufen«, sage ich.
    »Was wollte sie denn?«
    »Die Arbeit wächst ihr über den Kopf. Ich hatte versprochen, ihr bei der Inventarisierung der Bücher in der Bibliothek zu helfen …« Ich schweige einen Moment und sehe Harald dann in die Augen. »… und das hatte ich völlig vergessen.«
    »Wann soll das denn passieren?«
    Ich verziehe bedauernd und vielsagend das Gesicht. Dann gehe ich in die Diele, nehme meinen Trenchcoat aus der Garderobe und schlüpfe hinein.
    Zurück im Wohnzimmer sage ich: »Es tut mir wirklich leid, dass ich euch jetzt alleine lassen muss, aber …«
    »Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen. Was du versprochen hast, musst du auch halten. Du möchtest doch niemanden vor den Kopf stoßen.«
    »Nein, natürlich nicht.« Ich küsse ihn auf den Scheitel, während ich den Mantelgürtel zubinde. »Würdest du heute Abend die beiden ins Bett bringen?«
    »Natürlich, Liebling. Aber sei bitte vor elf Uhr zurück, ja? Ich muss morgen schon sehr früh raus für ein Wertgutachten.«
    »Wahrscheinlich bin ich schon viel früher wieder da«, verspreche ich. »Bis gleich!«
    »Fährst du weg, Mama?« Fleur steht in der Küche und hält ein Limonadenglas vor die Eismaschine im Kühlschrank. Der Apparat spuckt Eiswürfel aus, die klimpernd in das Glas fallen.
    »Ja, ich muss kurz noch mal weg. Papa bringt euch ins Bett.« In meiner Hast, mich auf den Weg zu machen, vergesse ich, Fleur und Charlotte einen Kuss zu geben.
    Draußen sitzt Reddy im Gras zwischen dem Löwenzahn und verfolgt meine Bewegungen mit halb geschlossenen Augen. Noch immer hat sie nicht geworfen, verhält sich aber seit einigen Tagen anders als sonst. Ruhiger, distanzierter. Vielleicht liegt es an den Hormonen und sie bereitet sich auf die Geburt vor. Tiere leben so viel stärker nach ihren Instinkten als wir Menschen. Aber ich möchte nicht ausschließen, dass sie innere Verletzungen erlitten hat, als Chris sie so grausam auf den Betonboden geschleudert hat.
    Ich nehme mir vor, den Tierarzt zu Rate zu ziehen, wenn sie Ende der Woche noch nicht geworfen hat. Ich muss wirklich aufhören, weiterhin den Kopf in den

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