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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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die Dose an die Lippen und trinkt ein paar Schlucke.
    Ich muss mich dazu zwingen, ihn nicht dauernd anzusehen, und richte meinen Blick auf die Pfähle des Anlegestegs. Aber das macht es auch nicht besser. Marius’ Aura füllt den ganzen Raum. Alles riecht nach ihm und verrät seine Anwesenheit. Das leichte Schaukeln des Bootes auf den Wellen lässt mich schwindeln.
    Auf dem Weg hierher habe ich mich bemüht, so viele schlechte Erinnerungen wie möglich an ihn wachzurufen. Das war nicht besonders schwer, mein Vorrat ist groß.
    Über alles Wichtige waren wir uneins. Immer. Je wichtiger ein Thema, desto öfter standen wir einander fast feindselig gegenüber. Ob es um Kinder, Wohnen, Freunde, Geld, Wohnungseinrichtung, Politik, und vor allem sein »kreatives Unternehmertum« ging. Ich wollte, dass er aufhörte, bevor er unweigerlich in Schwierigkeiten geriet und unser Leben ruinierte.

    Noch ein Jahr, Muschi, dann höre ich auf. Versprochen.
    Nur noch dieses eine Mal. Ich habe es selbst manchmal satt, das weißt du doch?
    Anfangs glaubte ich noch, dass er es ernst meinte. Aber im Laufe der Zeit wurde mir klar, dass er mich für dumm verkaufte. Er sagte es nur, um mich bei der Stange zu halten. Er wollte nicht wirklich aufhören, in tausend Jahren nicht, nicht aus eigenem Antrieb. Er konnte es nicht mehr. Er hatte niemals normal gearbeitet, sein Geschäft war sein ganzes Leben.
    Die bittere Ironie daran war, dass ich ihn in gewisser Weise verstehen konnte. Ich hatte ja selbst immer gedacht, genau wie Claudette es vorausgesagt hatte: nur noch eine Woche, noch einen Monat. Aber aus dem einen Monat waren wie von selbst zwei, drei, vier geworden, und dann hatten sie sich schließlich aneinandergereiht zu Jahren.
    Das war jedoch die einzige Gemeinsamkeit zwischen uns gewesen. Marius operierte ausschließlich in der Illegalität, und auch wenn er behauptete, alles sei gar nicht so schlimm, verkehrte er doch in äußerst gefährlichen Kreisen. Jedenfalls war sein Leben wesentlich risikoreicher als meines. Jeder mit einem Funken gesundem Menschenverstand musste erkennen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bevor das alles aus dem Ruder laufen würde.
    Ich wusste es, wollte es aber nicht sehen. Ich gestand es mir einfach nicht ein. Darin bin ich eine wahre Meisterin: die Augen vor unangenehmen Dingen zu verschließen. Als naiv kann man mich jedoch nicht bezeichnen. Ich wusste, was ich tat. Der Umgang mit Marius war ein Spiel mit dem Feuer. Genauso faszinierend und lebensgefährlich.
    Und das ist er immer noch.
    Nein. Jetzt ist es noch gefährlicher. Weil ich viel mehr zu verlieren habe. Alles, im Grunde.
    Unsere Blicke sind wie elektrisch geladen. Schweigend zieht er sein Polohemd aus, wirft es zu Boden und kommt auf mich zu. Ich erkenne, dass er im Gefängnis nicht nur im Bett gelegen hat. Er hat den Körper eines durchtrainierten Kickboxers. Schwergewichtsklasse. Und der Blick in seinen Augen verrät seine Erregung.
    Schnell weg, Claire!
    Er setzt sich neben mich, rollt den Kopf von links nach rechts über die Schultern und flüstert: »Kannst du mir mal den Nacken massieren, Muschi? Ich habe schon seit Tagen Verspannungen.«
    Bei jedem anderen Mann hätte ich mit lautem Gelächter oder einer spitzen Bemerkung reagiert.
    Nicht bei Marius. Da gibt es nichts zu lachen.
    Mein Verstand hat keine Kontrolle mehr über meinen Körper. Er macht, was er will. Wie ferngesteuert rücke ich an Marius heran und lege ihm die Hände auf die Schultern. Auf der linken Schulter trägt er eine große, bläuliche Tätowierung, eine Mischung aus Tribal-Tattoo und einer Art Sonne mit unregelmäßigen Strahlen. Ich hatte sie ganz vergessen. Mit den Fingerspitzen folge ich den gezackten Linien, die Blitzen gleichen.
    Nein, Marius hätte keinen guten Ehemann abgegeben. Dennoch hat uns damals etwas verbunden, das so unglaublich stark war, dass wir unsere schlimmsten Streitigkeiten darüber vergaßen: die harten Worte, die unüberbrückbaren Unterschiede. Es war die Chemie zwischen unseren Körpern, die von Anfang an die Hauptrolle in unserer Beziehung spielte, und sie drängt sich auch jetzt wieder in den Vordergrund.
    Ich streiche über die Wölbungen seiner Muskeln, fahre weiter hoch zu seinem Nacken und presse beide Daumen in seine Haut, die elastisch und leicht gebräunt ist.
    Er stöhnt leise und lässt den Kopf hinunterhängen. Er entspannt sich spürbar unter meinen Händen. In einem schmalen Wandspiegel kann ich die Szene beobachten. Marius

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