Abscheu
ähnelt unserer Katze, wenn sie gekrault wird. Er hat den gleichen entrückten Gesichtsausdruck, die gleichen leicht geöffneten Lippen.
Marius ist eine große, gefährliche Ausgabe von Reddy.
Steh auf, kehr um, lauf weg!
Ich streichle und knete ihn. Dann beuge ich mich nach vorn, öffne die Lippen und drücke meine Zunge auf seine Haut. Sie schmeckt ein wenig salzig und fühlt sich warm und glatt an. Langsam lecke ich von unten nach oben über seine Schulter, hinauf zu seinem Nacken, seinem Hals und dann zu seinem Ohr.
Er stöhnt jetzt lauter und legt den Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken. Er murmelt etwas Unverständliches. Seine Hände liegen mit den Handflächen nach oben auf seinem Schoß, und als ich rasch einen Blick über seine Schulter werfe, kann ich seine Erregung deutlich unter seiner Jeans erkennen.
Renn weg!
»Mach weiter«, flüstert er. »Scheiße, habe ich das vermisst.«
Renn, renn, renn!
»Ich … Ich glaube ich tue gerade etwas sehr Dummes«, höre ich mich flüstern. In meiner Stimme, die ich kaum als die meine erkenne, schwingt ein bizarres Frohlocken mit.
»Das klingt wie Musik in meinen Ohren, Muschi.«
22
Knapp zwei Monate nachdem Claudette mich in den Club von Jack und Sylvia Rijnders eingeführt hatte, hörte sie auf zu arbeiten. Endlich war es ihr gelungen, sich von dem täglich wachsenden Berg der Hunderter zu lösen. Zusammen mit ihrem Freund ging sie auf die Antillen, um dort Touristen das Tauchen beizubringen. Ich übernahm das Mietshaus der beiden, ein möbliertes Einfamilienhaus mit Carport in einem ruhigen, grünen Wohnviertel aus den Achtzigern, das wie so viele aus der Zeit verwinkelt wie ein Irrgarten erscheint.
Beim Abschied lud mich Claudette ein, sie doch einmal besuchen zu kommen. Ich bedankte mich und versprach es ihr, obwohl wir beide wussten, dass es nie geschehen würde.
Ich arbeitete also weiterhin im »Luxuria«, wobei ich mir vorgenommen hatte, nur so lange zu bleiben, bis alle Schulden abbezahlt waren. Dann würde ich aufhören.
Auf jeden Fall.
Ich genoss es, jetzt mein eigenes Reich zu haben, weit genug vom Zentrum entfernt und daher relativ anonym. Die ständigen heimlichen Umwege und das Spießrutenlaufen der letzten Monate hatte ich bis obenhin satt. In meinem neuen Zuhause konnte ich kommen und gehen, wann ich wollte, und brauchte niemandem meine Arbeitszeiten und meine Arbeitskleidung zu erklären. Doch am wichtigsten war, dass ich meiner Mutter nicht mehr jeden Tag Lügen auftischen musste. Ich habe ihr nie etwas verraten. Nichts von Marius und schon gar nichts vom »Luxuria«, nicht einmal, als es mir sehr schlecht ging und ich niemanden mehr hatte, dem ich mich hätte anvertrauen können. Ich wollte sie nicht damit belasten, und sie hätte es niemals gutgeheißen.
Natürlich hat sie sich gewundert, als ich anfing, ihr Geld zuzustecken, mit dem sie ihre Schulden bezahlen konnte. Doch sie hat nie gefragt, wo ich die Summen herhatte. Es wurden keine Worte darüber gewechselt, keine vielsagenden Blicke ausgetauscht, keine Bemerkungen fallen gelassen.
Ich bin nicht die Einzige in der Familie, die einfach nicht sieht, was sie nicht sehen will.
An und für sich war die Arbeit im Club nicht so anstrengend und anspruchsvoll, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich brauchte nur wenige Wochen, um meine Scham zu überwinden. Danach machte es mir mit manchen Kunden sogar Spaß.
Im Nachhinein betrachtet, war das nicht mehr als logisch. Ich berühre gerne andere und werde gerne berührt. Schon als kleines Kind bin ich bei jeder Gelegenheit zu den Erwachsenen auf den Schoß geklettert. Das starke Bedürfnis nach Körperkontakt hatte ich im Laufe der Jahre zu unterdrücken gelernt, aber innerhalb des »Luxuria« brauchte ich mich nicht mehr zu zügeln. Dort gereichte mir mein Kuschelbedürfnis gerade zum Vorteil und trug mir einen stetig wachsenden Kreis von Stammkunden ein.
Natürlich war es nicht immer einfach. Es passierten auch schlimme Dinge. Sogar schreckliche Dinge. Es gab Männer, die zu viel getrunken hatten und sich aggressiv oder respektlos verhielten, die uns beschimpften oder auf uns losgingen, Kerle mit abstoßendem Körpergeruch oder perversen, ja gruseligen Wünschen. Krankhaft eifersüchtige, tratschende und drogensüchtige Kolleginnen, die einem das Schwarze unterm Nagel nicht gönnten und auf aufdringliche Art versuchten, einem die Kunden abspenstig zu machen. Ich erinnere mich an eine Kollegin, die sich auf der Treppe zu einem
Weitere Kostenlose Bücher