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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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diese Feindseligkeiten vielleicht nur in meiner Einbildung existieren. Daher habe ich nicht mehr mit ihr darüber geredet. Aber ich denke durchaus noch darüber nach. Auch auf so einer Gartenparty mit Leuten von der Bank und von der Stadt liegt das Bewusstsein, dass ein Teil von ihnen mich lieber am Boden gesehen hätte, fast greifbar in der Luft.
    Bei der Rechnung des Partyservices ist mir der Schreck eiskalt in die Glieder gefahren. Diesen Betrag kann ich momentan eigentlich nicht entbehren. Schon für die Hälfte hätte man ein wunderbares Fest ausrichten können. Wenn ich aber mal nicht an die Geldausgabe denke, hat Claire völlig richtig gehandelt. Im Grunde tut sie das immer. Sie hat für viele Situationen genau das richtige Gespür. Wahrscheinlich sage ich es ihr nicht oft genug, aber sie ist wirklich ein Goldschatz.
    Claire hat Taittinger, Antipasti und Blauflossenthunfisch auffahren lassen. Bei den van Santfoorts zu Hause gibt es keinen drittklassigen Schaumwein und Supermarkthäppchen. Ja, uns geht es wirklich außergewöhnlich gut, vielen Dank.

21
    Das Boot gibt es tatsächlich: eine auffällige schneeweiße Flybridge-Motoryacht von ungefähr vierzehn Metern Länge namens »Esmeralda«. Ich habe sie mir in Ruhe angesehen und schätze, dass eine Yacht wie diese selbst gebraucht noch eine halbe Million Euro kostet, vielleicht sogar mehr, denn auch von innen ist sie in einem tadellosen Zustand. Das hellbraune Leder des Sofas fühlt sich weich an und riecht wie neu, und der hellblaue Teppichboden ist fleckenlos sauber, als sei er erst in der Woche zuvor verlegt worden. Die Wandverkleidungen und Einbauschränke bestehen aus Kirschbaumholz, das im gedämpften Licht sanft schimmert. Die Kajüte ist noch immer abgedunkelt: zum Wasser hin sind die Gardinen zugezogen.
    Über mir dröhnen Marius’ Schritte auf dem Deck, und ich höre, wie er leise in sein Handy spricht. Ungeduldig ziehe ich meinen Mantel aus, falte ihn zusammen, lege ihn neben mich und blicke mich nervös um.
    Marius hat behauptet, die Yacht gehöre einem Freund. Keine Ahnung, wer dieser Freund sein soll und warum er ihm so ohne Weiteres ein so kostspieliges Boot anvertraut. Das ist mal wieder typisch Marius. Ständige Lügen und Verdrehungen der Wahrheit gehören zu seiner zweiten Natur. Schon immer hat er sich absichtlich vage über seine Bekannten ausgedrückt und nie erzählt, wo er hinging oder wo er gewesen war, warum und mit wem. Das hat sich offenbar nicht geändert.
    Das Boot liegt nicht im Binnenhafen am Markt, sondern dümpelt einen guten Kilometer weiter in einem verschlafenen kleinen Hafen außerhalb der Stadtmauer. Marius rief mich an, als ich gerade durch das Stadttor fuhr, als habe er telepathische Fähigkeiten, und erklärte mir den Weg zu seinem Liegeplatz.
    Nachdem er mich in die Kajüte gelassen hatte, klingelte sein Telefon, und er ging hinauf an Deck. Das ist inzwischen fünf, sechs Minuten her, und ich habe nicht das Gefühl, dass er sich bemüht, das Gespräch abzukürzen. Seine Schritte dröhnen noch immer über meinem Kopf, und seine Stimme klingt leise. Ich kann kein Wort von dem verstehen, was er sagt.
    Ich erhebe mich von dem Ledersofa und wandere unruhig durch den Raum. Streiche mit den Fingerspitzen über die vertäfelten Wände und betrachte ohne großes Interesse die Instrumente und das Funkgerät.
    Ich erinnere mich daran, dass dies Marius’ Zukunftstraum gewesen ist. Eine Yacht wie diese, nur noch größer. Eines Tages wollte er aus seinen zwielichtigen Geschäften aussteigen und von seinen Ersparnissen leben. Dann wollte er seinen festen Wohnsitz aufgeben, mit einer hochseetüchtigen Yacht an den europäischen Küsten entlangsegeln und auf dem Mittelmeer herumschippern. Hin und wieder kaufte er sich Zeitschriften, in denen solche Boote gebraucht angeboten wurden, und blätterte darin herum, wenn er in der Badewanne lag oder auf der Toilette saß. Überhaupt liebte Marius Zeitschriften. Sie lagen im ganzen Haus herum.
    Vielleicht hat er im Gefängnis so viel Zeit zum Lesen gehabt, dass er der Zeitschriften überdrüssig geworden ist, oder er bewahrt seinen Lesestoff in seiner Schlafkabine auf, denn ich sehe nirgendwo welchen. Nur ein Schlüsselbund liegt auf der Anrichte, und auf dem Boden entdecke ich ein paar ziemlich neu aussehende weiße Sportschuhe in seiner Größe. Über der Rückenlehne des Sofas hängt eine sportliche Designer-strickjacke, und neben der kleinen Treppe, die zum Deck hinaufführt, steht

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