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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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Jemand, der eine Stinkwut auf mich hat. Der mich am liebsten in der Luft zerreißen würde. Der sich rächen will: Chris.

    Chris, der die Ställe in Brand steckt.
    Der den Pferden etwas Schreckliches antut.
    Marius hat behauptet, Chris sei im Ausland, aber was ist diese Aussage aus seinem Mund schon wert? Marius hat so oft gelogen, dass ich keinen Grund habe anzunehmen, dass er hier die Wahrheit gesagt hat.
    Humboldt wiehert erneut.
    Kein Zweifel: Bei den Ställen treibt sich jemand herum. Und die Wahrscheinlichkeit, dass es Chris ist und kein Pferdedieb oder Landstreicher, ist zu groß, um es darauf ankommen zu lassen und Harald zu wecken. Dieses Risiko kann ich einfach nicht eingehen. Mir wird klar, dass ich etwas unternehmen muss. Ich habe keine andere Wahl. Ich muss zu den Tieren, nach draußen, allein.
    Zitternd stelle ich die Füße neben das Bett und nehme mein Kleid vom Stuhl – ein Sommerkleid aus glattem Stoff, der weich an mir herunterfällt. Blindlings tastend finde ich meine Slipper und schlüpfe hinein.
    Vorsichtig stehe ich auf, so leise wie irgend möglich. Die Matratze federt leicht nach, als sie mein Gewicht nicht mehr zu tragen braucht. Ich atme flach. Das Blut rauscht mir in den Ohren.
    Harald reagiert nicht.
    Auf Zehenspitzen schleiche ich über den Flur und die Treppe hinunter, wobei ich versuche, die Stufen, die am lautesten knarren, auszulassen. Es gelingt mir nur teilweise.
    Unten in der Diele ziehe ich meinen Mantel über. Der Stoff raschelt unangenehm laut. Ich bleibe kurz an der Treppe stehen, um mich zu vergewissern, dass niemand aufgewacht ist. Dann drücke ich ganz langsam die Klinke der Wohnzimmertür hinunter. Der Mechanismus macht knarrende Geräusche, die vom Marmorfußboden und den Stuckwänden widerhallen. Mit den Fingerspitzen drücke ich leicht gegen die Tür, um sie weiter zu öffnen. Dabei knarren die Scharniere nur umso heftiger, so laut, dass es in meiner überreizten Fantasie wie Pistolenschüsse klingt. Mir läuft es kalt den Rücken hinunter. Ich zucke mit den Schultern, als könne ich dadurch die Spannung von mir abschütteln.
    Oben bleibt es still.
    Durch das Wohnzimmer gehe ich in die Küche. Mein Herz schlägt immer schneller, und ich habe den Mund geöffnet, weil ich das Gefühl habe, durch die Nase nicht genügend Luft zu bekommen. Ich brauche anscheinend mehr Sauerstoff, weil die Angst meinen ganzen Körper in Aufruhr versetzt.
    Ich bin gezwungen, etwas ganz und gar Widernatürliches zu tun: Ich gehe genau auf die Gefahr zu, hinaus in die dunkle Nacht, was ich um diese Uhrzeit schon ohne konkrete Bedrohung gruselig und beängstigend finde.
    So waghalsig ist es auch wieder nicht, rede ich mir ein, als ich mit zitternden Fingern den Schlüssel zur Hintertür vom Haken nehme. Schließlich ist es kein Einbrecher.
    Es ist Chris. Es kann nur Chris sein. Und er mag psychopathische Züge haben, aber ich kenne ihn. Chris ist früher sogar nicht ganz unempfänglich für meine Reize gewesen, zwar auf seine eigene ungehobelte, vulgäre Art und Weise, aber er fand mich attraktiv. Falls sich das nicht inzwischen geändert hat, werde ich es garantiert ausnutzen.
    Auf dem Weg zum Wirtschaftsraum fällt mein Blick auf den Messerblock, der auf der Kochinsel steht. Ich habe die Messer noch vor Kurzem schleifen lassen. Im Vorbeigehen ziehe ich eines heraus, ein dünnes Messer, mit dem ich normalerweise Fisch filetiere. Es ist rasiermesserscharf und relativ klein und leicht. Ich stecke es mit der Spitze nach oben in meine Manteltasche, gehe zur Hintertür und schließe sie, so beherrscht ich kann, auf.

29
    Als ich Marius kennenlernte, waren die Schulden, die Papa angehäuft hatte, fast gänzlich beglichen und die Kredite abbezahlt. Es lief nur noch ein letzter Kredit, den meine Mutter nicht auf einmal ablösen konnte, aber die monatlichen Raten brachte sie im Prinzip von ihrem Gehalt auf. Im Nachhinein betrachtet war die Abzahlung doch relativ schnell gegangen. Ich verdiente ja auch zwei- bis vierhundert Gulden pro Tag und arbeitete mal an dreien, öfter aber an fünf Nachmittagen oder Abenden pro Woche.
    Natürlich gab ich nicht das ganze Geld meiner Mutter. Ich hatte auch Ausgaben: Miete, Gas, Strom und Wasser, Fahrstunden und kurz darauf mein erstes kleines Auto, eine breite Auswahl an Arbeitskleidung für das »Luxuria« und eine komplette Garderobe für mein normales Leben. Dazu kamen zwei Friseurbesuche pro Woche, regelmäßige Maniküre, Wachsen, Sonnenbank und die

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