Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
Vom Netzwerk:
Polizei davon wissen und ihren gruseligen Fund wegen der Ermittlungen absichtlich geheim halten. Wegen der kriminaltechnischen Untersuchungen.
    Ich brauche mich keinerlei Illusionen hinzugeben: Wenn Marius tot ist, mit der Betonung auf »wenn«, bin ich für seinen Tod verantwortlich, und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei bei uns vor der Tür steht.
    Dann verliere ich alles, was mir lieb ist.
    Ich weiß nicht, was das Schlimmste für mich wäre: dass ich in Handschellen als Mörderin abgeführt würde und meine Familie niemals wieder sähe oder dass ich Marius’ Tod verursacht hätte.
    »Claire? Ich habe dich etwas gefragt.«
    »Natürlich kann Harald ohne Weiteres auf Fleur und Charlotte aufpassen«, antworte ich leicht gereizt. »Aber das ist nicht der springende Punkt.«
    »Sondern?«
    Ich blicke die Reihe der Fitnessmaschinen entlang und zum Nebenraum, wo sich hinter der Glaswand eine Gruppe von schwitzenden Frauen mit roten Köpfen abarbeitet. Die Musik kommt von dort. »Ich habe einfach keine Lust dazu, ohne Harald und die Kinder übers Wochenende wegzufahren. Ich würde sie zu sehr vermissen. Bei dir ist das etwas anderes, du bist ja quasi Single.«
    »Stimmt«, erwidert sie spitz, »eine geschiedene Frau, deren gesamter Bekanntenkreis aus verheirateten Frauen besteht.«
    »Aber doch nicht nur?«
    »Doch. Ausschließlich. Eine wie die andere.«
    Ich muss mich dazu zwingen, ihrem Problem Beachtung zu schenken. »Und was ist mit Marieke? Kann sie nicht?«
    Natalie zieht die Augenbrauen hoch und sieht mich vorwurfsvoll in der Spiegelwand an. Ein schweigender Tadel, der nicht zu übersehen ist.
    »Okay, kein gutes Beispiel«, sage ich rasch und denke an Marieke Couwenhoven und ihre selbst gestrickten Ziegenwolljacken. »Aber du hast doch nicht nur mich? Es wird doch wohl genug Frauen geben, die mit Vergnügen mit dir übers Wochenende nach Paris fahren? Vielleicht solltest du auch mal dein Profil auf einer Datingsite im Internet veröffentlichen, darüber habe ich in der Schule viel Positives gehört.« Ihr finsterer Blick macht mich ein wenig nervös. »Ich meine, ich wäre keine gute Begleitung, Natalie. Wirklich nicht. Ich würde alle zwei Stunden zu Hause anrufen.«
    Natalie ist mit ihrer Übung fertig und legt sich ein Handtuch um den Hals. Ich entnehme ihrer enttäuschten Haltung, dass sie sich bereits mit meiner Absage abgefunden hat, und habe ziemliche Gewissensbisse. Hinter mir bekomme ich mit, wie eine Frau einen anderen Sportler ruft. Zweimal sagt sie laut seinen Namen: Chris. Erschrocken drehe ich mich um, halte überall Ausschau und entdecke die beiden schließlich. Der Mann hat keinerlei Ähnlichkeit mit Chris Koops.
    Chris.
    Die »Esmeralda« könnte ihm gehören. Jetzt, da ich darüber nachdenke, erscheint es mir sogar ziemlich plausibel.
    Weiß Chris, dass ich bei Marius auf dem Boot gewesen bin? Ja, natürlich weiß er das. Die beiden waren schon vor zehn Jahren dicke Freunde.
    Voller Angst schließe ich die Augen.
    »Geht’s dir nicht gut, Claire?«, fragt Natalie, die in der Hocke vor mir sitzt. Hinter ihr hopst inzwischen eine Gruppe Twens unter der Leitung einer Asiatin im rosa Anzug auf und nieder. Die Musik scheint immer lauter zu dröhnen.
    »Doch, doch«, antworte ich verwirrt und stehe auf.
    »Du bist auf einmal kreideweiß geworden.«
    »Alles in Ordnung, ich bin nur müde.«
    Noch einmal sieht sie mich forschend an und geht dann zur nächsten Maschine. Dort schraubt sie eine Flasche Wasser auf und trinkt ein paar Schlucke.
    Natalie ist meine Freundin. Jedenfalls so etwas Ähnliches. Von allen Frauen aus meinem Bekanntenkreis habe ich sie am dichtesten an mich herangelassen. Wir treffen uns mindestens einmal pro Woche, und sie ist die Einzige, mit der ich über persönliche Dinge spreche. Gefühlsmäßig stehe ich ihr jedoch keineswegs besonders nahe.
    Doch auch wenn es mir gut gegangen wäre und Chris und Marius nicht im Hintergrund gelauert hätten, wäre ich nicht auf ihr Angebot eingegangen. Was ich zu ihr gesagt habe, war absolut ehrlich gemeint, aus tiefstem Herzen: Was in Gottes Namen soll ich in Paris oder wo auch immer auf der Welt ohne Harald, meine Mutter und die Kinder?
    Diese vier Menschen sind meine ganze Welt.

Sieben
    Als er starb, hatte mein Vater sechzehn Angestellte. Jetty Dolman, die achtzehn Jahre lang seine Sekretärin gewesen war, kündigte unmittelbar nach seinem Tod. Sie konnte nicht mehr in demselben Zimmer arbeiten, in dem sie ihren Chef

Weitere Kostenlose Bücher