Abscheu
Anschaffung der neuesten Make-up-Produkte und Parfüms.
Vielleicht klingt es banal, aber ich gewöhnte mich erschreckend schnell an Markenkleidung, teure Pflegeprodukte und Wellnesstage in der Sauna. Sogar zu Hause trank ich nur noch teure Bordeauxweine und Champagner. Ich fand, ich hätte das verdient. Ich fand es normal.
Aber mein Leben war nicht normal. Ich hatte keine normale Arbeit, keine normalen Freunde und schon gar keine normalen Sorgen und Probleme. Da ich meinen alten Freunden gegenüber kein Sterbenswörtchen über meine Arbeit verlor und ich oft arbeiten musste, wenn sie ausgingen, entfremdeten wir uns und ich geriet langsam, aber sicher in andere gesellschaftliche Kreise. Ich fand neue Freunde, Leute wie Marius und Chris, von denen keiner etwas mit einer bodenständigen, bürgerlichen Lebensweise am Hut hatte.
Obwohl ich im Grunde immer dieselbe Claire geblieben bin, hat die Arbeit als Prostituierte mich in verschiedener Hinsicht doch verändert und geformt – verformt vielleicht.
Ich bereue die Entscheidungen nicht, die ich getroffen habe. Offenbar musste es so kommen, aber ich war noch so jung, mitten in der Entwicklung und habe – im Nachhinein betrachtet – jahrelang in einem Rausch gelebt.
Es dauerte noch einige Jahre, ehe mir das klar wurde und ich zugleich erkannte, dass ich nicht noch jahrelang so weitermachen wollte. Durch die schlimmen Erfahrungen der anderen Mädchen wuchs meine Angst, eines Tages aus heiterem Himmel von einem Kunden geschlagen zu werden – oder Schlimmeres. Je länger ich diese Arbeit tat, desto größere Gefahr lief ich, eines schönen Tages seelisch und körperlich schwer verletzt zu werden, das sagte mir schon mein gesunder Menschenverstand. Immer häufiger schlug ich mich mit solchen Gedanken herum, sogar bei der Arbeit, die mir dadurch umso schwerer fiel.
Vielleicht hatte ich auch nur deswegen größere Skrupel, weil ich älter und ein wenig vernünftiger wurde. Vielleicht hatte ich einfach zu viel gehört und gesehen, oder meine Umgebung veränderte sich zum Negativen. Vielleicht war es auch alles zusammen. Außerdem arbeiteten im »Luxuria« immer mehr ausländische Mädchen, die kein Wort Englisch oder Niederländisch sprachen und zu denen wir keinen Kontakt hatten. Es wurde aber gemunkelt, sie wären gekauft worden und könnten nicht so wie wir einfach nach Hause gehen oder sich krankmelden.
Die Atmosphäre im Club verbesserte sich dadurch keineswegs.
Dennoch arbeitete ich weiter. Ich nahm mir vor, sofort aufzuhören, wenn ich zehntausend Gulden zusammengespart und mir ein schönes Auto gekauft hatte. Doch als ich schließlich einen bar bezahlten, drei Jahre alten Opel Tigra besaß und bereits mehr als zehntausend beisammen hatte, dachte ich, dass ich auch die Fünfzigtausend schaffen konnte. Das wäre dann eine schöne Anzahlung für ein Häuschen oder eine Wohnung, oder ich konnte wenigstens – weil es ja Schwarzgeld war – die Einrichtung davon bezahlen.
Und so ging alles seinen Gang. Ich versetzte meine Ziele und Grenzen immer weiter in die Zukunft, bis mir eines Tages die Entscheidung aufzuhören mehr oder weniger abgenommen wurde.
30
Tagsüber sind es bis zum Stall nur ein paar Minuten zu Fuß, vielleicht sogar weniger, ich habe nie so genau darauf geachtet. Der Weg zu den Pferden beginnt mit einem gepflasterten Stück ab dem Rasen, und führt dann als Sandpfad am Obstgarten entlang weiter nach hinten, wo ein Wassergraben, an dem Weiden, eine Reihe Pappeln und eine struppige Hecke wachsen, die Grenze zu den Nachbarn bildet, und er endet schließlich am Außenreitplatz und einem mit braunen Klinkern gepflasterten Übergang, der Stall und Weide miteinander verbindet. Das Stalltor liegt zur Weide hin und ist vom Haus aus nicht sichtbar. Im Sommer wächst das Laub, hauptsächlich das der Obstbäume, so dicht, dass das ganze Gebäude vor den Blicken verborgen ist. Dann sieht man inmitten des Grüns nur noch das orangefarbene Ziegeldach und einen Teil der schwarz gebeizten Holzverkleidung.
Bei Tag lege ich die Strecke nicht nur schneller zurück, sondern kann sie auch genießen. Dann schlendere ich über einen idyllischen, friedlichen Spazierweg. Rechts und links wachsen Kräuter und Blumen, und Libellen schwirren durch die Luft. Schon auf halbem Weg nehme ich den typischen Beizgeruch der Ställe wahr, gemischt mit dem Geruch nach Pferden, Mist und Stroh.
All das rieche ich jetzt ebenfalls, aber idyllisch würde ich den Weg nicht nennen, eher
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