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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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und die Decken für die Pferde aufbewahre. Normalerweise ist sie mit Staub und Spinnweben bedeckt. Dass Marius die Lampe im Dunkeln so schnell finden und anzünden kann, beweist, dass er sich hier gründlich umgesehen hat.
    Marius dreht die Flamme kleiner, sodass der Stall sanft erleuchtet wird. Dann dreht er sich zu mir um. »Ich möchte dir in die Augen sehen, wenn ich dich frage.«
    Ich werde allmählich nervös. Der Betonboden im Stall fühlt sich plötzlich unter meinen nackten Füßen eiskalt und rau an, und Strohhalme pieken mich zwischen den Zehen. Ich erschauere.
    Marius bemerkt sofort, dass ich friere, öffnet den Metallschrank und holt eine saubere Pferdedecke heraus. Dann kommt er zu mir herüber und legt sie mir um die Schultern. »Hier.« Er führt mich zu den Strohballen, die neben den Stalltüren an der Wand liegen. »Setz dich.«
    Er nimmt auf dem Strohballen neben mir Platz. Sein Gesicht liegt halb im Dunkeln, und seine hellen Augen sehen mich forschend an. »Eine ehrliche Antwort, versprochen?«, sagt er. »Keine dummen Ausreden.«
    Ich nicke und ziehe die Decke fester um mich zusammen. Sofort wird mir etwas wärmer.
    »Das Geld.«
    Ich spüre, wie ich kreidebleich werde. »Geld?«
    »Ja, Geld. Umgerechnet gut zweihunderttausend Euro. Weißt du noch? Ich habe nicht umsonst diese Tasche in dein Auto gestellt. Ich habe mir schon gedacht, dass ich deinem Gedächtnis ein bisschen auf die Sprünge helfen müsste.«
    »Ich habe dein Geld nicht, Marius.«
    »Ach nein?«
    Ich schüttele den Kopf und sage dann leise: »Nein, ehrlich nicht. Allein, dass du mich verdächtigst, ich könnte dein Geld noch haben, ist traurig genug für mich.« Ich werde lauter. »Sind wir jetzt so weit? Geht es dir darum? Lungerst du deshalb hier rum? Wegen ein paar Plastiktüten? Hast du mir deswegen Chris auf den Hals gehetzt? Wegen des Geldes?«
    Marius kratzt sich nachdenklich die Brust. Er schweigt lange und sagt dann plötzlich: »Hast du auch nur die geringste Ahnung, wie schwierig es für mich ist, mir ein sogenanntes ehrliches Leben aufzubauen?«
    Die Frage ist rein rhetorischer Art, daher antworte ich nicht.
    »Ich versuche es schon seit einer ganzen Weile, seit mehreren Monaten, um genau zu sein, seitdem ich frei bin. Aber mehr als ein Versuch ist bisher nicht dabei herausgekommen. So, wie ich früher gelebt habe, kann ich … Ich will noch nicht sterben. Verstehst du? Deswegen will ich in ein Geschäft einsteigen, etwas Legales. Ich habe einen Freund, der Rundreisen in Uganda organisiert. Er hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, ihm dabei zu helfen. Scheint eine solide Sache zu sein. Und jedenfalls ist in Afrika schönes Wetter.«
    Unwillkürlich stelle ich mir Marius als Fremdenführer vor, sonnengebräunt, sodass seine hellen Augen und weißen Zähne noch mehr hervorgehoben werden. Ich sehe vor mir, wie er mit einer Hand locker auf die Tür eines weißen, staubigen Jeeps gestützt dasteht, tiefe Lachfalten um die Augen und dazu seine einzigartigen Fotomodell-Lippen, von der Hitze aufgesprungen. Auf dem Kopf einen Lederhut, abgetragene Jeans …
    Nicht träumen, Claire!
    »Aber …«, sagt er unschlüssig.
    »Dafür brauchst du Geld.«
    »Nicht nur dafür.« Er steht auf und geht zu Humboldt hinüber, der dösend im Licht der Sturmlampe steht. Mit der flachen Hand streichelt ihm Marius über die Stirn und flüstert ihm freundliche Worte ins Ohr. Mir fällt auf, wie gut er mit dem Tier umgeht, als habe er selbst Pferde oder hätte einmal welche besessen. Ich kann mich nicht erinnern, dass er je davon erzählt hat.
    Es gibt so vieles, was ich nicht von ihm weiß.
    »Wofür brauchst du das Geld denn?«, frage ich. »Steckst du in Schwierigkeiten?«
    Er stößt ein spöttisches Lachen aus und dreht sich um. »Schwierigkeiten! Natürlich, wer hätte die nicht? Ich brauche das Geld ganz einfach zum Leben.« Er setzt sich wieder auf den Strohballen, stützt die Ellbogen auf die Knie und sieht mich eindringlich an. »Ich frage dich noch einmal, Muschi, es ist wirklich sehr wichtig. Hast du das Geld ganz bestimmt nicht?«
    Ich schüttele entschieden den Kopf.
    »Aber wo sind die Taschen dann geblieben?«
    »Chris hat sie.«
    »Ehrlich?«
    Ich nicke nachdrücklich. »Er hat sie eine Woche später abgeholt.«
    Marius schweigt lange. Dann nimmt er meine Hand und fährt mit den Lippen über meine Finger. Wieder sieht er mich an, aber jetzt mit einem ganz anderen Blick.
    Mir läuft ein Schauder über den ganzen

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