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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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kehre ich ins Wohnzimmer zurück.
    Reddy liegt immer noch an derselben Stelle. Sie blickt mich ängstlich an, macht Schluckbewegungen und fängt dann wieder an zu hecheln. Ihre Zunge bildet ein bleiches »u«, und ihre Augen sind wild aufgerissen, sodass man das Weiße am Rand sieht. Vorsichtig lege ich ihr meine freie Hand auf den Bauch. Immer noch knallhart. Dann fühle und sehe ich eine deutliche Wehe.
    »Tierarztpraxis De Schans, guten Tag.«
    »Claire van Santfoort«, melde ich mich gehetzt. »Unsere Katze Reddy ist schon seit einer Weile trächtig, und eben habe ich sie im Wohnzimmer gefunden, mit hervortretenden Augen und hechelnd wie ein Hund. Ihr Bauch ist ganz hart, und es kommt …«
    »Seit wie vielen Tagen ist sie trächtig, Mevrouw?«
    »Äh … Ich weiß nicht. Wir haben es einfach irgendwann festgestellt.«
    Die Sprechstundenhilfe seufzt verärgert. Unweigerlich wurde ich in die Schublade »verantwortungslose Tierhalterin« gesteckt. Genau da gehörte ich auch hin.
    »Ich habe noch nie eine Katze hecheln sehen«, füge ich hinzu.
    »Das ist auch wirklich nicht normal. Einen Augenblick, bitte.« Rumoren, dann wieder die Stimme der Arzthelferin. »Doktor van Hemert hat gesagt, Sie sollten möglichst sofort mit ihr in die Praxis kommen.«
    »Bin schon unterwegs.« Ich beende die Verbindung und eile in die Küche.
    Als wir letztes Jahr beschlossen, Reddy zu behalten, hielten wir es für vernünftig, sie untersuchen und impfen zu lassen. Den Hinweg zum Tierarzt ertrug sie laut miauend in einem kleinen Pappkarton. Die Rückreise verlief komfortabler, in einem direkt beim Tierarzt gekauften Plastiktransportkorb mit einer Klappe auf der Oberseite. Bei unserer Heimkehr stellte ihn Harald ganz oben auf das Regal im Wirtschaftsraum, und da steht er bis heute.
    Ich blase den Staub vom Deckel. Aus dem Küchenschrank nehme ich zwei weiße Handtücher, lege sie hinein und eile zurück zu Reddy.
    Sie liegt noch immer hechelnd auf den kalten Fliesen. Ich reiße mich zusammen, schiebe beide Hände unter sie, hebe sie auf und lege sie so vorsichtig wie möglich in den Korb. Sie lässt es ruhig geschehen. Wahrscheinlich ist sie zu erschöpft, um sich zu wehren, aber als ich die Klappe schließe, stößt sie einen Laut aus, der mir durch Mark und Bein geht. Er ähnelt Babygeschrei, geht dann aber beunruhigend schnell wieder in das hechelnde Keuchen über.
    »Alles wird gut, Kleines«, beruhige ich sie nervös. Ich nehme den Autoschlüssel vom Haken und eile aus dem Haus. »Glaube mir, alles wird gut.«

Neun
    In meinem Büro steht ein Kerl. Brauner Teint – entweder sonnengebräunt oder von Geburt an ziemlich dunkel –, leicht missgebildeter, voller Mund und äußerst unangenehmer Blick. »Unheil verkündend« wäre eine passendere Beschreibung. Er trägt ein schwarzes, leicht glänzendes Hemd unter einem taillierten Sakko, dazu eine dunkelblaue Jeans.
    Doch nicht nur sein Aussehen lässt mich in meinem Bürostuhl unwillkürlich zurückweichen. Mehr noch liegt es an seiner Ausstrahlung.
    Das ist kein Kunde.
    Das ist ein Problem.
    Ich lege meinen Füller vor mich auf den Schreibtisch und erwidere so gelassen wie möglich den Blick dieses Typen, der mich unwillkürlich an alte Filme mit Mickey Rourke, vagabundierende Römer und anderes zwielichtiges Gesindel erinnert.
    Hinter ihm steht betreten die Praktikantin in der Tür, eine Akte mit verschränkten Armen an die Brust gedrückt. An ihrem Hals haben sich rote Flecken gebildet, und sie ist sichtlich fassungslos. »Meneer wollte nicht warten.«
    Ich bin zwar auch nicht gerade ein mickriger Spargel, aber trotzdem mache ich mir nicht die Umstände, für ihn aufzustehen. Das wäre unter meiner Würde. Ich straffe den Rücken, recke das Kinn und werfe dem Eindringling von meinem Stuhl hinter dem Schreibtisch aus meinen geringschätzigsten Blick zu. »Meneer kann einen Termin vereinbaren. Wie das hier üblich ist.«
    »Es geht um Claire«, sagt der Mann ganz ruhig. Ich höre den Anflug eines Rotterdamer Dialekts, ganz leicht, kaum wahrnehmbar, aber dennoch unverkennbar.
    »Claire«, sage ich gedehnt. »Was soll denn mit ihr sein?«
    »Ich kenne sie von früher. Damals hieß sie noch Andijk.«
    Ich zucke gelassen mit den Schultern, aber meine Stimme klingt angespannt. »Kann schon sein.«
    Grinsend wirft er einen Blick über die Schulter zu Annebeth. »Ich glaube nicht, dass wir auf diese Weise heute noch weiterkommen werden, Harald«, sagt er, als sein stechender Blick wieder

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