Abscheu
auf mich gerichtet ist. »Ich darf dich doch sicher Harald nennen?« Dann schweigt er beredt.
Ich hebe das Kinn und wende mich an die Praktikantin. »Bitte lassen Sie uns einen Moment allein. Und schließen Sie bitte die Tür hinter sich.«
Annebeth nickt und zieht die Tür sorgfältig ins Schloss, sichtlich schockiert über den Verlauf der Ereignisse.
»Worum geht es denn eigentlich?«
»Ich habe Claire letzte Woche gesprochen. Das hat sie sicherlich nicht erzählt, oder?«
»Sie haben mit Claire gesprochen?« Ungläubig ziehe ich die Augenbrauen hoch.
Er grinst, dass man seine weißen Zähne sieht, und lacht unangenehm. »Unter anderem«, sagt er. Dann geht er zur Wand, die meinem Schreibtisch gegenüberliegt, und betrachtet gespielt interessiert die Ölgemälde. Er zieht ein Päckchen Dunhill aus der Innentasche seines Jacketts und nimmt eine Zigarette heraus. Steckt dann das Päckchen wieder ein.
»Ich wüsste gerne, was Sie von mir wollen«, sage ich.
Er steckt die Zigarette zwischen die Zähne, umschließt sie mit den Lippen und zündet sie mit einem goldfarbenen, kostspielig aussehenden Feuerzeug an. Dabei ist nicht ein einziges Mal das Lächeln aus seinem Gesicht gewichen. »Schönes Büro hast du hier.« Seine Stimme hat ein warmes Timbre, aber sein Blick ist kalt. »Kannst stolz sein auf deinen Laden.«
»Das bin ich auch.«
»Gut, Harald … Sehr gut.« Umgeben von einer Wolke aus Zigarettenqualm geht er mit wenigen Schritten zu meinem Schreibtisch, und ehe ich protestieren kann, greift er nach einem Foto in einem versilberten Rahmen. Das Bild habe ich letzten Februar während unseres Winterurlaubs in den französischen Alpen aufgenommen. Charlotte steht zum ersten Mal auf Skiern, noch ein bisschen ungeschickt. Fleur hat sich beschützend hinter ihr aufgestellt, die Arme um ihre kleine Schwester gelegt. Beide blicken lachend in die Kamera: vor Kälte und Aufregung gerötete Gesichter, strahlende Augen.
Der Eindringling betrachtet das Foto eingehend, und ich muss mich beherrschen, um es ihm nicht aus der Hand zu reißen.
»Zwei«, murmelt er. »Blond, genau wie die Mutter. Gratuliere, Harald. Gratuliere.« Er lässt sich Zeit, bleibt reglos stehen und blickt unverwandt und voller Interesse das Foto meiner beiden Töchter an. Dann stellt er es wieder zurück auf den Schreibtisch, mit einer Vorsicht, die mich überrascht. »Wie heißen sie denn, die beiden?«
»Das tut ja wohl nichts zur Sache«, bringe ich hervor. Ich stelle das Foto wieder auf den richtigen Platz, ein paar Zentimeter weiter nach rechts.
Gerade noch habe ich mit dem Gedanken gespielt, Claire anzurufen und ohne Umschweife zu fragen, ob sie diesen Mann tatsächlich kennt. Vermutlich steckt sie zu Hause mitten in den Vorbereitungen für Charlottes Geburtstag übermorgen. Doch inzwischen frage ich mich, ob ich nicht lieber die Nummer der Polizei wählen sollte. Mein Blick huscht von dem Mann zum Telefon.
»Immer mit der Ruhe, Harald«, sagt er, als spüre er, was ich vorhabe. »Ich will doch nur einen Augenblick mit dir reden. Wir haben etwas gemeinsam, du und ich. Mehr, als man auf den ersten Blick meinen könnte … Kurz bevor du Claire kennengelernt hast, hat sie nämlich mir gehört. Und darüber müssen wir uns heute einmal unterhalten, du und ich.«
Ich habe das Gefühl, leichenblass zu werden. Sekundenlang bleibe ich reglos an meinem Schreibtisch sitzen .
»Ach, jetzt habe ich ganz vergessen, mich vorzustellen. Wie nachlässig von mir.« Er kommt auf mich zu und streckt mir die Hand hin, und obwohl ich sie am liebsten ignorieren würde, wage ich es nicht.
Ich stehe von meinem Stuhl auf und schüttele ihm die Hand. Sie ist hart wie Beton. Ich sage nichts – er kennt meinen Namen – und schaue ihm genau in seine kleinen, tief liegenden Augen.
»Marius«, sagt er. Er ist kleiner als ich, kompensiert dies aber, indem er sofort die freie Hand auf meinen Ellbogen legt und mich zu sich hinzieht. Nur ein ganz klein wenig; dennoch gerate ich aus dem Gleichgewicht.
»Marius, und wie weiter?«, frage ich.
Er sieht mich scharf an und lässt mich los. »Setz dich, Harald.«
40
Das Wartezimmer des Tierarztes ist brechend voll. Auf dem weißen Fliesenboden sitzen und liegen nervöse Hunde, und überall stehen Käfige und Transportkisten herum, hauptsächlich mit Katzen besetzt, abgesehen von einem Hängeohrkaninchen. An der Wand hängen bunte Poster, und es gibt eine große Waage, auf der jeder sein Haustier selbst wiegen kann.
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