Abscheu
Neben den automatischen Schiebetüren steht eine exotische Pflanze, die beinahe bis an das gläserne Spitzdach reicht.
Ich warte vor dem Empfangsschalter, unseren blauen Transportkorb zu Füßen. Durch die Ritzen im Deckel sehe ich Reddy auf der Seite liegen, noch groggy von der Narkose und mit kahl geschorenem Bauch. Neben ihr auf der weichen Hebammenunterlage kriechen zwei winzige rote Katzenjunge herum, die rötlichen Fleischkroketten ähneln. Sie zittern und fiepen leise. Ihre Augen sind noch geschlossen.
»Schade um die anderen drei«, sagt die Tierarzthelferin hinter dem Schalter. »Eines war schon in Verwesung begriffen, kein schöner Anblick, aber die anderen beiden sehen noch ganz gut aus. Möchten Sie sie mitnehmen?«
»Mitnehmen?«
»Ja. Vielleicht möchten Sie sie begraben oder …«
»Danke, sehr freundlich von Ihnen, aber das möchte ich lieber nicht.« Ich gehe in die Hocke und sehe durch die Ritzen nach Reddy. Ihr Bauchfell ist großflächig weggeschoren, und zwischen den Reihen der Zitzen verläuft eine an die fünfzehn Zentimeter lange Naht.
»Können die Kleinen denn an ihr trinken?«, frage ich.
»Aber ja. Milch hat sie. Das habe ich eben noch kontrolliert. Und wenn die Kätzchen trinken, regen sie damit den Milchfluss an.«
»Nein, eigentlich wollte ich sagen … Tut ihr das nicht schrecklich weh? Wegen der Wunde.«
»Ach, das ist halb so schlimm, wissen Sie. Sie wurde unter der Haut genäht, und die Wundheilung verläuft bei Katzen sehr schnell. Zur Sicherheit habe ich aber Schmerzmittel bereitgelegt.« Offenbar wirke ich noch nicht recht überzeugt, denn sie fügt hinzu: »Falls Reddy zu Hause ihre Jungen doch nicht akzeptiert oder sich die Wunde entzündet, müssen Sie sich noch einmal bei uns melden.«
Der Arzt betritt das Wartezimmer. Er hat die Hände in die Taschen seiner weißen Hose gesteckt und weist mit dem Kinn auf den Transportkorb. »Zwei konnten wir retten.«
»Ja, ich weiß.«
»Es sah nicht gerade schön aus da drinnen.«
»Nein?« So unbewegt wie möglich erwidere ich seinen Blick.
»Die Mutter hat wahrscheinlich irgendwie einen Schlag abbekommen«, sagt er nachdenklich, »oder sie ist aus großer Höhe gestürzt. Dafür wäre diese Art von innerer Verletzung typisch. Der Tod der Kleinen könnte eine Folge davon sein. In einem Gebärmutterhorn steckten diese beiden, quicklebendig, im anderen sah es schlimm aus. Im Prinzip sind die Kätzchen in der Gebärmutter vor Erschütterungen geschützt, aber hauptsächlich in den letzten Wochen der Tragezeit wird es …«
Der Tierarzt hält mir einen Vortrag über die medizinischen Folgen eines Traumas, sagt, dass die Kätzchen ziemlich klein und deswegen möglicherweise anfälliger für Krankheiten seien, aber ich bekomme höchstens ein Viertel von alldem mit. Ich sehe Chris wieder mir gegenüber im Stall stehen, mit diesem teuflischen Grinsen im Gesicht, wie er die Katze auf Armeslänge von sich weghält. Ich höre wieder den dumpfen Schlag, als Reddy auf dem Steinboden aufkam und bis zur Stalltür rutschte.
»Mevrouw van Santfoort?«
»Äh, ja?«
»Hat Reddy einen Unfall gehabt?«
»Nicht … Nicht, dass ich wüsste. Aber sie schläft über den Pferdeboxen auf den Strohballen und springt manchmal aus dieser Höhe herunter. Vielleicht ist es dabei passiert.«
Der Arzt hebt die Hände. »Na ja, wie dem auch sei … Bitte beobachten Sie sie in den nächsten paar Tagen ganz genau. Sollten Sie irgendetwas Beunruhigendes feststellen, rufen Sie einfach an. Und bitte vergessen Sie nicht, Ihrem Mann einen schönen Gruß von mir auszurichten.«
»Mache ich, vielen Dank.«
Draußen stelle ich den Transportkorb auf den Rücksitz und sehe noch einmal nach Reddy. Sie reagiert nicht, miaut nicht einmal. Sie blickt nur müde und gelassen ins Leere. Ihre Jungen fiepen kläglich.
»Es tut mir leid«, flüstere ich. »Das alles tut mir so leid!«
Zehn
»Sie hat mir nie von dir erzählt«, erwidere ich und vergesse vor lauter Schreck, ihn zu siezen.
Umständlich nimmt er in dem Ledersessel vor meinem Schreibtisch Platz, stützt sehr betont den Ellbogen auf die Armlehne und lehnt sich ein wenig nach vorn. »Wahrscheinlich hat dir Claire auch nie verraten, womit sie ihren Lebensunterhalt verdient hat, bevor sie dich kennenlernte, oder?«
»Ihren Lebensunterhalt?«
»Ihre Arbeit. Welcher Arbeit sie nachgegangen ist.«
»Doch, sie war Verkäuferin in einem …«, beginne ich, unterbreche mich aber mitten im Satz, als ich seinen
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