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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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Blick sehe.
    Amüsiert betrachtet er mich. Achtlos tippt er mit dem Daumen auf den Filter seiner Zigarette. Die Asche rieselt auf den Holzfußboden.
    »Also nicht«, schlussfolgere ich.
    »Sie hat im ›Luxuria‹ gearbeitet, einem Laden in Rotterdam. Da habe ich sie entdeckt. Sie war achtzehn, glaube ich, oder knapp neunzehn. Ein richtiger Schuss. Mit Abstand die Schönste von allen.«
    »Im ›Luxuria‹?«
    »Ein Club.« Er zieht an seiner Zigarette und blickt dem Rauch hinterher.
    Ich sehe ihn abwartend an. Irgendwie arbeitet mein Gehirn nicht mehr auf vollen Touren. Als hätte es einen Kurzschluss gegeben. Als hätte ich einen kurzen Blackout gehabt.
    »Nachtclub, Puff«, erklärt er. »Harald, es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber Claire – deine Frau – war eine Hure. Und zwar eine gute. Sie hat eine Menge Geld verdient.«
    Genauso gut hätte mir Marius einen Schlag in die Magengrube verpassen können. Nein, der wäre mir sogar lieber gewesen. Mit körperlichen Schmerzen hätte ich wesentlich besser umgehen können als mit dieser Neuigkeit.
    Dabei zweifle ich keinen Augenblick am Wahrheitsgehalt seiner Mitteilung. Es liegt nicht nur am Ausdruck in seinen Augen, mit dem er alles, wofür ich lebe und was ich liebe, infrage stellt. Ich weiß es einfach, tief in meinem Inneren. Dieser Mann spricht von einer Periode in Claires Leben, über die sie nie Genaues erzählt hat und von der ich mir nie eine richtige Vorstellung machen konnte. Als ich sie kennenlernte, wohnte Claire in einem exklusiven Apartment, trug sündhaft teure Kleidung und kannte sich bestens mit Champagner aus … obwohl sie in einer Boutique arbeitete.
    »Ich verstehe, dass dich das schockiert«, fährt er ungerührt fort. »Und dass du möglicherweise moralische Vorbehalte dagegen hast. Die hatte ich auch. Es ist nicht leicht, sein Mädchen mit jedem X-Beliebigen teilen zu müssen, der sich in so einem Club amüsiert. Darüber sollte man sich lieber nicht zu viele Gedanken machen, Harald – dass das, was für einen selbst etwas Besonderes ist, für jeden dahergelaufenen Vogel käuflich ist … oder besser: war, in deinem Fall.«
    Ich schließe die Augen und versuche zu schlucken. Mit Gewalt muss ich den Impuls unterdrücken, meinen Schreibtisch umzukippen und sehr, sehr laut zu schreien.
    »Na ja, wie dem auch sei«, fährt er fort, in demselben ruhigen Tonfall wie bisher, »es gibt da noch das ein oder andere kleine Problem. Ich habe nämlich damals ein bisschen Kohle bei ihr deponiert. Sie sollte sie ein paar Tage für mich aufbewahren. Anschließend wurde ich bei einem kleinen Job erwischt und eingebuchtet. Fast zehn Jahre lang habe ich hinter Gittern gesessen … Als ich rauskam, wohnte irgendeine indonesische Oma in Claires ehemaligem Haus, und mein Geld war spurlos verschwunden. Das ist echt übel, Harald, glaub mir. Ich kenne Leute, die sind schon für weniger ausgeflippt …«
    Ich bin noch immer zu fassungslos und schockiert, um zu reagieren oder auch nur die ganze Bedeutung seiner Worte zu erfassen. Das Wort »Hure« spukt mir unablässig im Kopf herum, wie eine teuflische, defekte Langspielplatte, die jedes Mal an diesem einen Wort hängen bleibt: Hure, krack, Hure, krack , Hure, krack, Hure …
    »Hallo?«
    Ich blicke auf.
    »Du siehst ziemlich mies aus, Harald. Als könntest du einen Schnaps gebrauchen.« Suchend blickt er sich um. »Hast du hier nichts zu trinken?«
    Ich schüttele den Kopf. In der Gegenwart von diesem Typen werde ich garantiert nichts trinken. »Ich möchte, dass du gehst«, sage ich, mit einer Stimme, die genauso gebrochen klingt, wie ich mich fühle.
    »Ho, ho, nicht so schnell. Du hast mir nicht richtig zugehört, Harald. Wir sind noch nicht fertig. Ich habe gesagt, dass das Geld weg ist. Viel Geld. Geld, das Claire angeblich einem Freund übergeben hat. Jedenfalls behauptet sie das inzwischen. Aber weißt du, Harald …« Ein dunkler Schatten gleitet über sein Gesicht, und er wendet den Blick ab, als schäme er sich. Dann fährt er in vertraulichem Tonfall fort: »Wir können noch so sehr glauben, wir hätten alles im Griff, lügen können sie immer noch besser als wir, die Frauen. Denn eines weiß ich ganz sicher: Derjenige, der Claire zufolge das Geld gehabt haben sollte, hatte es nicht. Da bin ich mir zu dreihundert Prozent sicher.«
    Wieder tippt er die Asche so von seiner Zigarette, dass sie auf den Boden rieselt. »Aber… um noch mal auf uns zurückzukommen … Ich brauche die Kohle. Und da ich

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