Abschied aus deinem Schatten
hatte.”
„Tatsächlich? Sie waren zusammen?”
„Sind wir nach wie vor”, stellte er richtig. „Schon gute fünf Jahre. Eine Beziehung, die uns beiden gut tut. Mae ist geschieden und hat eine reizende kleine Tochter. Ihre Ehe war eine Katastrophe; eine Wiederheirat steht außer Frage für sie. Mir geht’s genauso, denn meine Ehe war ein ähnliches Fiasko. Es ist also eine feste, dauerhaft Beziehung, die auf gleichen Voraussetzungen beruht und beiderseitige Bedürfnisse befriedigt, ohne dass wir unsere Freiheit aufgeben. Wir hielten sie geheim, so gut es ging, aber Claudia kam dahinter. Deshalb stellte sie mich vor die Wahl: Entweder tue ich ihr diesen einen Gefallen, oder sie müsse beim Personal einsparen und jemanden entlassen. Nun bin ich zwar nicht auf diesen Job angewiesen – auf andere übrigens auch nicht –, Mae allerdings schon. Ihr Exmann kommt seiner Unterhaltsverpflichtung für das Kind nur sporadisch nach. Mae braucht den Job hier also dringend. Außerdem hat sie ihren Stolz und würde im Traum nicht darauf kommen, von mir Geld anzunehmen, und sei es auch nur als Darlehen. Claudia hatte also meine Achillesferse entdeckt – wie bei zahllosen anderen Opfern auch. Und genau auf diese wunde Stelle zielte sie mit traumwandlerischer Sicherheit, wie sie es auch bei anderen so viele Male getan hatte. Ich fragte sie, was sie denn von mir wolle.
Ach, nichts Weltbewegendes, gab sie zur Antwort. Sie habe sich in den Kopf gesetzt, den Doktor zu ihrer Trophäensammlung hinzuzufügen. Das sei eine große Herausforderung und nicht ganz unproblematisch. Sie könne nicht einfach die Zeitschaltuhr einstellen und das Ganze nach dem bisherigen Schema ablaufen lassen, denn sie müsse sich ja zunächst etwas einfallen lassen, mit dem sie Reid überhaupt zum Haus locken könne. Also sollte ich mich, mit der Kamera im Anschlag, im Ankleidezimmer postieren, wenn es so weit war. ‚Nur dieses eine Mal, Ian. Dann bitte ich Sie nie wieder um einen Gefallen!‘“ Kopfschüttelnd hielt er inne. „Wenn Sie gestatten, Rowena, hole ich mir noch einen Schluck.”
„Nichts dagegen!”
„Danke.” Er stand auf, schenkte sich einen weiteren Schuss Brandy ein und kam zurück. „Sie sind sehr großherzig”, sagte er und suchte ihren Blick. „Diese ganze unappetitliche Angelegenheit tut mir sehr Leid. Ich hatte immer gehofft, dass sie unentdeckt bleibt.”
„Niemand wird davon erfahren, Ian. Nur ich – ich muss es unbedingt wissen.”
„Das hätte ich erkennen müssen. Also, wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, im Kleiderschrank, sozusagen.” Bitter auflachend, ließ er den Blick in das abgedunkelte Restaurantinnere schweifen und zog dabei heftig an seiner Zigarette. „Dieses verfluchte Weibsbild! Sie rief bei Reids Telefondienst an, stellte sich hartnäckig als dringender Notfall dar, spielte die Verzweifelte. Sein Rückruf erfolgte fast umgehend, und sie zog eine erstaunliche Show ab. Von einem Moment zum andern war selbst ich fast davon überzeugt, dass sie auf der Schwelle zum Selbstmord stand. Dann legte sie auf und stieß ein Triumphgeheul aus. Sie hatte es geschafft. Er war unterwegs.
Wie eine Irrsinnige rannte sie hin und her und bereitete alles vor. Sie ließ die Haustür unten auf, kam die Treppe heraufgefegt, um ihr Make-up aufzufrischen, brachte die Frisur in Ordnung, entblätterte sich und streckte sich auf dem Bett aus. Ich musste an mich halten, um nicht laut zu lachen. Aber dann erschien Reid, und auf einmal hatte ich schreckliche Angst. Ich kann es mir selbst nicht erklären. Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, dass ich zugestimmt hatte und sie bei dieser Sache unterstützte. Bist du von allen guten Geistern verlassen? habe ich mich immer wieder gefragt. Was hast du hier zu suchen? Warum versteckst du dich mit einer Kamera in diesem verdammten Ankleidezimmer? Ich hoffte, er würde böse reagieren, sie ordentlich zusammenstauchen und dann wieder gehen. Sie allerdings ließ dem armen Kerl nicht den Hauch einer Chance. Sie haben das Video ja gesehen, also wissen Sie Bescheid. Tja.” Er seufzte und nahm einen Schluck Brandy. „Wie das Schicksal so spielt, hatte sie dabei einen ihrer seltenen Orgasmen, wenn nicht sogar den einzigen echten ihres Lebens. Der arme Doktor verzog sich, so schnell es ging. Ich auch, weiß Gott! Noch nie habe ich mich so geschämt. Ich konnte sie nicht ansehen, geschweige denn mit ihr sprechen. Ich stellte einfach die Kamera ab und machte, dass ich fortkam, fuhr
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