Abschied braucht Zeit
ist und eine Verhinderung des Suizids zu einer weiteren Verlängerung der Leidenssituation beitragen würde. Sicherlich gibt es Menschen, für die durch das Leiden an einer unheilbaren Krankheit die Zeit bis zu einem natürlichen Ende nicht mehr lebenswert erscheint und die vielleicht auch aus sozialen Zwängen und Rücksichten heraus andere nicht belasten möchten. Der Wunsch nach einem selbstbestimmten Tod durch Suizid entsteht aber nicht zuletzt auch aus der Angst, dass im fremdbestimmten Sterben Unabhängigkeit und Kontrolle verloren gehen und die eigene Identität nicht genügend beachtet wird.
Selbstbestimmung wahrzunehmen bedeutet nicht zwangsläufig, den Tod durch Suizid zu suchen, es kann auch bedeuten, sich von der Maschinerie des medizinischen Systems zu lösen, wie das Peter Noll, ein bekannter Jurist und Professor an der Universität Zürich, getan hat: Als die Diagnose Krebs bei ihm gestellt wurde, verweigerte er alle Therapieangebote, um sich in Ruhe auf seinen Tod vorzubereiten. Die Erfahrungen seines letzten Lebensjahres hat er in einem sehr lesenswerten Tagebuch, Diktate über Sterben und Tod , niedergeschrieben. 61
Die Frage des selbstbestimmten und würdigen Todes zum Thema des ärztlichen Gesprächs zu machen, erfordert immer die Bereitschaft, sich in besonderer Weise auf den anderen einzulassen. Die Frage nach ärztlicher Hilfe zum Sterben istin Deutschland ein Tabu und wird eigentlich in unserem medizinischen System nicht oder nur selten gestellt. Doch wenn sie gestellt wird, so ist sie in einem besonders hohen Maße Ausdruck einer in der Regel sehr engen Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient und kann nicht einfach mit einem »Nein« beantworten werden. Eine solche Bitte ist – vorausgesetzt, dass sie trotz aller Verzweiflung in vollem Selbstbewusstsein ausgesprochen wird – auch ein Appell an die Respektierung von Selbstbestimmung und an unsere besondere moralische Verpflichtung zur Leidenslinderung.
Wenn also durch die Bitte um Suizidbeihilfe die Grenzen unserer Fähigkeiten angesprochen werden, Krankheiten zu heilen oder die Lebenssituation der Betroffenen zu verbessern, so liegt darin auch immer eine Herausforderung an die ärztliche Macht. Kann, darf die Hilfe zur Beendigung des Lebens eine Möglichkeit darstellen, unserer Verpflichtung zur Barmherzigkeit und zur Nächstenliebe in ganz außerordentlichen Situationen zu entsprechen? Walter Jens und der Tübinger Theologe Lothar Küng haben diese Frage vor einigen Jahren in ihrem Buch Menschenwürdig sterben aufgeworfen. Die Frage nach Hilfe zum Sterben beinhaltet immer auch eine moralische Herausforderung, sich mit dem Sinn unserer eigenen Existenz und unseres Rollenverständnisses auseinanderzusetzen. Auch wenn man dabei besonders berührt und betroffen ist, kann man letztlich den Sinn, den das Leben, das Sterben und der Tod für einen anderen Menschen hat, nicht bestimmen. Den Tod herbeizuführen bedeutet, ihm Sinn geben. Eine Rechtfertigung, die den Tod für sinnvoll und als Therapieziel als indiziert erklärt, überschreitet Erkenntnisgrenzen – dies gilt im Besonderen für die ärztliche Beihilfe zum Suizid. Die Auseinandersetzung mit dem Tod durch Suizid ist und bleibt – so niederdrückend es vielleicht klingen mag – ein Thema des Lebens und ist keine Frage des Rechts.Schon Kant hat auf den im Suizid liegenden Widerspruch hingewiesen, dass in der Inanspruchnahme der Freiheit zur Selbsttötung gleichzeitig auch deren Selbstaufhebung liegt. In diesem Sinne ist auch die Hilfe zum Suizid als Beitrag zur Zerstörung von Autonomie zu betrachten.
Der Tod ist das »letzte Experiment«, die »große unbekannte Herausforderung«, eine »wichtige Vervollständigung«, der »schweigende Vollender« des Lebens – und wohl die wichtigste existentielle Erfahrung, die das Leben für alle mit sich bringt. Sollte die aktive Herbeiführung des Todes tatsächlich in den Verantwortungsbereich menschlichen oder speziell ärztlichen Handelns gelegt werden? Im moralischen Selbstverständnis des Arztes hat das Töten keinen Platz. Ärztliches Handeln muss immer auf das Leben und die Verbesserung dieses Lebens hin orientiert sein. Das gilt auch für die Sterbesituation und die Anerkennung von Würde und Autonomie im Sterben, indem die Grenzen des Lebens und des Sinns im Leben respektiert werden. Der Tod kann kein eigenständiges Therapieziel sein, sehr wohl aber ein Sterben unter würdigen Bedingungen – das macht es manchmal schwierig und
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