Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
kürzester Zeit eine illustre Zahl an Opfern ab, ohne meinem Mörder Leben einhauchen zu können.
Es war zum aus der Haut fahren, meine Hauptfigur wollte und wollte sich einfach nicht materialisieren. Und wenn ich mal eine Figur zu Papier brachte, die annähernd etwas Lebendiges an sich hatte, dann brauchte ich nur einen Blick auf die Literatur werfen, die ich zu jener Zeit verschlang, und ich wusste, wessen Kind sie war. Mal hatte ich einen Haarmann/Bartsch agieren lassen, hatte die Richtung ihrer Obsessionen allerdings auf die weibliche Hälfte der Menschheit gelenkt. Dann war es eine Art Kürten (der beinahe um die Ecke, in Düsseldorf, tätig gewesen war), der – womit ich die deutsche Tradition sowohl verließ als auch fortsetzte – in einem VW-Käfer unterwegs war, einem bei amerikanischen Serialkillers bevorzugten Fortbewegungsmittel. Ein anderes Mal erinnerte meine Figur an Albert Fish, der übers Internet (also in meinen Skizzen, zu Fish’s Lebzeiten gab es derlei nicht) Frauen fand, die aus irgendwelchen Gründen Spaß daran hatten, ihm (was auch er aus irgendwelchen Gründen spaßig fand) brennende Kerzen in den Hintern zu stecken. Nach diesem Lichterfest verspeiste er dann seine Spielgefährtinnen, was dann wieder an Hannibal Lecter erinnerte. Und so ging das dann mit Querverweisen und Reminiszenzen weiter und weiter.
Alles weder Fisch noch Fleisch, und diese unerquicklichen Ergebnisse meiner Bemühungen warf ich dem Psychologen mit einem lächelnden Schulterzucken auf den Tisch. Hab‘ bis jetzt einfach noch nicht den rechten Zugang zum Denken eines solchen Kerls gefunden, sagte ich meinem Gegenüber, der mit hängenden Schultern hinter seinem Schreibtisch saß.
Hauptsache, du gibst dir Mühe , meinte der Psychologe mit müder Stimme, es ist doch schön, auf ein Ziel hinzuarbeiten . Dann legte er die verworfenen Skizzen zur Seite und versuchte, ohne dabei wirklichen Elan an den Tag zu legen, ein Gespräch über Julia und Kassandra in Gang zu bringen. Nach einigen Minuten stockender Bemühungen sah er ein, dass die Brocken, die ich ihm mehr aus Mitleid als aus Mitteilungsbedürfnis hinwarf, der Sitzung keine neuen Impulse lieferten. Er seufzte und sah auf die Uhr. Der schlaffe Händedruck, mit dem er mich verabschiedete, war nichts im Vergleich zu dem zupackenden Eindruck, den er mir bei meinem ersten Besuch gemacht hatte.
Nicht nur mir fiel auf, wie sehr die ganze Angelegenheit unserem Psychologen an die Substanz ging. Der einstmals dynamische Mann schlurfte nun über die Schulflure. »Ich komme einfach nicht an sie ran!«, pflegte er in Anwesenheit anderer betrübt laut und – so das hartnäckige Gerücht – in alleiniger Anwesenheit einer Flasche Rotwein leise düster zu sich selbst zu sagen: »Finde einfach keinen Zugang.« Ein sensibler Mensch. Vielleicht zu sensibel für seinen Beruf.
Meine Mutter konnte es dann auch nicht fassen: »So ein netter Mann, und er wirkte doch eigentlich ganz aufgeräumt, als wir bei ihm waren.« »So kommt’s halt, wenn man in anderer Leute Angelegenheiten rumschnüffelt!«, entgegnete mein Vater, der unseren Schulpsychologen nicht sonderlich gemocht hatte, »Ich hab’s dir gleich gesagt, diese Philosophen haben selber einen an der Klatsche!«
Ich konnte meine Mutter bis ins Nebenzimmer, in das ich kurz zuvor – ohne dass sie es bemerkt hätten – getreten war, ihre Augenbrauen hochziehen hören: »Psychologe, du Bauer, er war Psychologe nicht Philosoph!« »Ist auch egal, was er war!«, ließ sich mein Vater nicht aus der Ruhe bringen, »Jetzt ist er jedenfalls tot. Wäre er vielleicht nicht, wenn er vor der eigenen Haustür gekehrt hätte. Scheint da ja selbst ein mächtiges Problem gehabt zu haben! Und der wollte uns sagen, unser Junge sei nicht ganz normal!«
Ich hörte meinen Vater aufstehen und sich ein Bier aus dem Kühlschrank nehmen, dann setzte er sich mit dem Stuhl scharrend wieder hin, »Also bei dem Gespräch, da hätte ich ihm am liebsten eine übergezogen. Tja, das hat er ja nun gründlicher erledigt, als ich es wohl getan hätte!« Meine Mutter seufzte: »Er meinte doch nur, dass es sehr auffällig wäre, mit welcher Art Mädchen er Umgang pflegen würde...« Mein Vater ließ sie nicht ausreden: »Du alte Schwatzbase, musstest ihm ja auch unbedingt brühwarm erzählen, dass du dieses Mädchen letztens bei unserem Sohn im Auto gesehen hast!«
Die Stimme meiner Mutter nahm eine Färbung ein, die ich noch nicht kannte, es klang fast so, als
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