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Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Titel: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Boscher
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von dort den Zug zur Schule zu nehmen. Dies bedeutete – mal ganz abgesehen von der beachtlichen Einbuße an Ansehen –, dass ich wesentlich früher aufstehen musste, als wenn ich mit dem Auto hätte fahren können. Bedeutete, dass ich mit meinen Eltern frühstücken musste, da mein Vater etwa zur selben Zeit zur Arbeit fuhr – allerdings in die andere Richtung und mit dem Auto. Ein gemeinsames Frühstück mit den Eltern ist zwar nicht per se etwas Unangenehmes, aber nach meiner Nacht bei Maria hatten diese gemeinsamen Mahlzeiten etwas von einem Rapport. Bei Kaffee und Toast bekam ich meinen Tagesplan diktiert, d.h., ich musste meinen Stundenplan offen legen, um die Ankunftszeit nach der Schule zu bestimmen. Je nachdem wie viel Zeit mir nach Abzug einer vierstündigen Lernphase auf meine Abiturprüfung noch vom Tag blieb, wurden mir Haushaltsaufgaben zugeteilt, die ich gewissermaßen als Erholung von meinen schulischen Pflichten noch vor dem Schlafengehen zu erledigen hatte: ihr Auto pflegen, den Kühlschrank putzen, oder die von eingefrorenem Braten, Frikadellen, Hähnchen, Fleischrollen, Pommes überquellende Kühltruhe aufräumen, all das Tiefgekühlte so vorteilhaft schichten, dass Platz geschaffen wurde für die nächsten Sonderangebote.
    Schlafenszeit war dann 22 Uhr. Des Weiteren war natürlich das Auto vollständig gestrichen. Ausgehen war gestrichen, Bücher lesen (es sei denn, sie waren für das Abitur relevant oder wirkten so wie mein Philosophielexikon) war gestrichen, Taschengeld auch. Ich bekam, weil es für mich ja eh keine andere Möglichkeit gab, Geld auszugeben, ein Paar Euro für meine Verköstigung in den Schulpausen zugeteilt.
    So sah es aus, und dieser Tagesablauf sollte nach dem Willen meiner Eltern erst dann revidiert werden, wenn ich das Abitur in der Tasche hatte. »Das mit den Mädchen kannst du dir so lange abschminken«, meinte mein Vater kategorisch. Ich spürte die kalte Hand des Schulpsychologen sich um meinen Hals legen: »Ihr Sohn macht offensichtlich eine schwierige Phase durch«, hatte er gesagt und meinen Eltern geraten: »Er braucht jetzt einen strukturierten Lebenswandel, Dinge, Zeiten, an die er sich halten kann, eine gewisse Routine, die seinem Leben Kontur gibt, um so Perspektiven für die Zukunft entwickeln zu können!« Meine Eltern hatten verstanden, und so nebenbei hatte meine Mutter mich so sehr in den Griff bekommen, wie seit den Zeiten im Streckbett nicht mehr.
    War es da ein Wunder, dass mir all dies auf den Magen schlug und ich keinen Appetit hatte, als meine Mutter am Donnerstagabend zur Feier der für ihren Geschmack sehr gut verlaufenen Woche einen schönen Sauerbraten, den sie am Morgen aus der aufgeräumten Tiefkühltruhe genommen hatte, mit Rotkohl und Salzkartoffeln auf den Tisch brachte? Es tat ihr in der Seele weh, mich nur ein wenig Kartoffeln und Kohl essen zu sehen, war Sauerbraten doch eigentlich mein Leib- und Magenfleisch. »Nimm dir doch wenigstens ein kleines Stück!«, versuchte sie mich zu locken, »Das Randstück magst du doch am liebsten!« Auch Mutterliebe kann durch den Magen gehen.
    Aber selbst wenn ich spürte, dass dies von ihrer Seite eine Geste der Versöhnung war, konnte ich den Braten nicht essen. »Wer nicht will, der hat schon!«, meinte mein Vater, der sich dann selbst den Rand nahm (es war auch sein Lieblingsstück, und ich war gerührt, weil er offensichtlich gewillt gewesen war, es mir zu überlassen). So saß ich also bei diesem vorverlegten Sonntagsessen über Kartoffeln und Kohl, trank ein Glas Bier, das mir Vater großzügig aus seiner Flasche eingeschenkt hatte, und bemühte mich die üblichen Abendmahlfragen (wie war es in der Schule? für welches Fach lernst du heute? usw.) ruhig und freundlich zu beantworten. Ich dachte, jetzt haben sie sich heute Abend so viel Mühe gegeben, mir dieses Gefängnis – gebaut aus Sorge, mit Gittern gestählt in elterlichem Willen – ein wenig komfortabler zu machen, da bin ich ihnen ein wenig Nettigkeit schuldig. Dann machte ich mich an die mir für diesen Abend aufgegeben Aufgaben und ging anschließend – ganz lieber Sohn – schlafen.
    Am Freitagabend wiederholte sich dieses Spiel. Statt Sauerbraten gab es Fisch, statt Rotkohl Sauce hollandaise. Allerdings war ich an diesem Abend mit meiner Appetitlosigkeit nicht alleine.
    » Meine Güte, hab‘ ich Kopp-Ping!«, klagte meine Mutter, »Hab‘ das Gefühl, alles doppelt zu sehen. Bekomm‘ auch so furchtbar schlecht Luft«. Mein Vater

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