Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
erschrak als sei ihm der Leibhaftige erschienen, da ich ihm eine Hand auf die Schulter legte und fragte: »Kann ich dir bei irgendwas behilflich sein?« Und der Anblick seines Gesichtsausdrucks, der zwischen den Nuancen Schreck-Scham-Ärger changierte, erschien mir sogar noch köstlicher als meine ursprüngliche Phantasie. Sein unzusammenhängendes Stottern war Musik in meinen Ohren: »Nein..., ja..., was! Was? Du? Oh! Ich..., ich..., wollte nur..., sie..., oh...«. Als Lilith ihn dann auch noch mit ihrem aufragenden Hinterteil anstieß: »Wo bleibt der versprochene Riesenjoint für deine Rockbitch?!«, da war es um Udo vollends geschehen. Schnell raffte er die Hose hoch, murmelte noch ein »‘Tschuldigung!«, und weg war er. So ist das Leben, die einen gehen, die anderen kommen. Ich fackelte nicht lange und nahm – sehr zu Liliths offenkundigem Vergnügen – Udos Stellung ein.
6.
Schlussendlich musste ich allerdings feststellen, dass das, was für Udo galt, auch mich betraf, denn kaum hatten sich unsere Leiber getrennt, wollte Lilith nach Hause. Leben ist halt wirklich ein Kommen und Gehen. Sie wehrte sogar mein Angebot, sie zu begleiten (denn schließlich sei es für eine Frau alleine auf nächtlichen Straßen nicht sicher) mit einem Lächeln ab, ließ sich noch eine Zigarette geben und ging.
Nicht, dass sie mich mit einem schlaff hängenden Kondom in der Hand hatte stehen lassen, so eilig war ihr Aufbruch zum Glück nicht gewesen, aber dennoch blieb ich ein wenig konsterniert zurück. Alleine stand ich am Rand der mittlerweile recht leeren Tanzfläche. Die Zigarette in meinem Mundwinkel zitterte, und ich fror. In einer Ecke saß ein Paar, Arm in Arm, sie hatte ihren Kopf an seine Schulter gelegt. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich nichts dagegen hätte, wenn diese beiden Lili und ich wären. Ihre weichen, kurzen Haare auf meiner Brust. Lilis Wärme auf meiner Haut. So war das. Der Rausch war vorbei, nun war mir nach Zärtlichkeit, danach, sie in meinem Arm zu halten und einfach nur aneinandergeschmiegt einzuschlafen. Mir war nach... –, nein!, sagte ich mir. Schluss damit! So ist das halt, wenn keine Liebe im Spiel ist. Postorgiastische Depression. Der Satyr schleicht sich mit hängendem Kopf ins Unterholz. Ich warf die Zigarette zu Boden. Eine Geste, die Entschlossenheit symbolisieren sollte. Doch es war zu spät. Ich musste an Carmen denken. Daran, dass die Nähe zwischen mir und ihr, gerade weil sie so anders geartet gewesen war als die Nähe, die in dieser Nacht zwischen Lilith und mir bestanden hatte, nicht mit dem Erlöschen der Leidenschaft verschwunden war. Einen Moment lang stand ich am Rande eines Abgrundes, der sich dort auftat, wo zuvor Carmen in meinem Leben ihren Platz gehabt hatte. Dann beherzigte ich Nietzsches Spruch – Wenn du zu lange in einen Abgrund blickst, blickt auch der Abgrund in dich hinein – und zertrat die Zigarette wie ein lästiges Insekt, zerrieb den Tabak, das Papier, die Asche zwischen meinen Schuhsohlen und dem Betonboden. Vorbei ist vorbei! Ich riss mich zusammen und besorgte mir noch ein Bier. Am Flaschenhals vorbei ging mein Blick schließlich in die Ferne. Irgendwann wird sich schon eine neue Liebe am Horizont zeigen!, dachte ich, während ich einen tiefen Schluck nahm. Irgendwann. Bald. Eine neue Liebe. Die wahre Liebe. Und endlich werde ich dauerhaft glücklich sein. Genau! Warum also noch einen Gedanken an Carmen verschwenden? Bin ich nicht wie eine Schlange? Streife meinen Kummer ab wie alte Haut, um einem neuen Glück entgegen zu wachsen. So habe ich es immer gehalten, so wird es auch jetzt sein.
Plötzlich verstummte die Musik. Die Lichter gingen an. Das Paar in der Ecke ordnete verstohlen die Kleidung, stand auf und ging Hand in Hand in den Morgen hinein. Und während ich ihnen nachsah, schlug die Niedergeschlagenheit wieder in einer kalten Welle über mir zusammen. Was ist denn nur los mit mir? , fragte ich mich beinahe wütend auf mich selbst, Warum kann ich nicht einfach über dieser ganzen Angelegenheit stehen? Ich griff nach der Schachtel Zigaretten in meiner Tasche, und – Oh glückliche Fügung der rechten Dinge im rechten Augenblick! – meine Finger ertasteten den Bierdeckel mit der Telefonnummer der Unscheinbaren, die ich vor lauter Lilith ganz vergessen hatte. In diesem Moment hatte ich so etwas wie eine Offenbarung. Ich sah mich als alten Mann, schlohweiß das Haar, ebenso mein langer Bart. Sah aus wie eine dieser Figuren aus
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