Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
zu ihm: »Udo, hast doch noch ‘ne angemessene Garderobe gefunden!« Er strich sich gemütlich über den von seinem Rockbitch T-Shirt eng umspannten Bauch: »Knapp angemessen«. Dann bot er mir einen Zug an, den ich aber mit Hinweis auf den schon genossenen Alkohol dankend ablehnte, und sah ihm dabei zu, wie er sein eh schon breites Grinsen hinter einer kolossalen Rauchwolke versenkte. Doch kaum, dass er wieder freie Sicht hatte, weiteten sich seine zusammengeschmolzenen Pupillen und mit offenem Mund starrte Udo mir über die Schulter. »Mein Gott!«, sagte er nur, und noch bevor ich mich nach Besagtem umsehen konnte, legte sich mir eine Hand auf die Schulter. Ich wusste sofort, wer Udo so aus der Fassung gebracht hatte, dass er sogar seinen Joint unbeachtet vor sich hinglimmen ließ. Lilith hatte sich zu uns gesellt und hielt mir eine Flasche Bier mitsamt einem Lächeln entgegen, was Udo zu der ungläubigen Frage veranlasste: »Du kennst sie?« Und ich legte meinen Arm um Liliths Taille und sagte beiläufig und voller Besitzerstolz: »Lili? Ja, schon länger!« und ließ Udo mit dem rauchenden Riesenjoint in der Hand stehen.
Aber auch wenn Lilith, als ich mit ihr durch die Menge zu einem ruhigeren Platz ging, ihren Kopf an meine Schulter lehnte, übersah ich nicht dieses eigentümliche Glänzen in ihren Augen. Wenn dieses Glänzen nicht gewesen wäre, dann hätte ich meinen Blick von der Decke herab wohl als Hirngespinst abgetan. Aber es war kein solches gewesen. Ein anderer hatte von der Frucht genascht. Ich sah es nicht nur in ihren Augen, sondern konnte es auch an ihren Lippen schmecken, als ich sie küsste. Ich spürte es an ihrer Zunge, die mir zwar wie auf unserem Weg entgegenkam, aber doch anders, eingespielt auf einen anderen Rhythmus. Es dauerte nur einen Augenblick, dann hatte Lilith sich wieder auf mich eingestellt. Ich aber löste mich von ihr und fragte: »Hast du einen anderen geküsst?« Lilith blickte mich lächelnd, aber mit ernsten Augen fest und auch forschend an: »Nein!«, sagte sie, und dann sagte sie noch mit einer Stimme, der anzumerken war, dass dies das letzte Wort zu der Angelegenheit sein sollte: »Ich wurde geküsst«.
Eifersucht sprang mir als kichernder Zwerg in den Nacken und schlug auf meinen Kopf ein. Sind sie nicht alle gleich?!, skandierte er. Seine Häme: Denk‘ nur an Carmen! Carmen! Carmen! Immer das gleiche Lied! rauschte in meinen Ohren. Wie konnte Lilith sich nur von einem anderen, oder gar anderen, küssen lassen? Schließlich war es doch ich gewesen, zu dem sie in dieser Nacht gekommen war. Mich hat sie hierher mitgenommen, und da ich es war, der sie zu Beginn dieser Nacht küsste, war also ich es, dem diese Nacht versprochen war, und so sollte sie auch keinem anderen gehören als mir. Verstand sie das etwa unter gediegener Ablenkung ?
Natürlich wusste ich, dass Lilith mir – so vielversprechend sie mir auch entgegengetreten war – gar nichts versprochen hatte, sie hatte mir keine Liebe, geschweige denn Treue geschworen. Meine eigene Phantasie war es gewesen, die in mir hatte das Gefühl aufkommen lassen, dass ich in dieser Nacht einen gewissen Anspruch auf sie haben würde. Aber was heißt in solchen Momenten schon wissen. Drauf geschissen! , schrie der Zwerg, sie hat kein Recht, einen anderen ranzulassen! Gleichzeitig meinte ich diese Männerstimme aus dem Zelt zu hören, die da rief: Lass’ den Arsch, und komm’ her! , und war da nicht auch Carmen? Ich hätt’ ja gern, aber es klappt nicht mit uns . Ein bedrängendes Gefühl der Unzulänglichkeit schnürte mir plötzlich die Brust zu. Vielleicht liegt es an mir und nicht an den Frauen? Vielleicht mach‘ ich etwas falsch? Nein! Nein! , kreischte der Zwerg, es sind die Frauen! Er baumelte vor meinem Kopf, klammerte sich an meinen Ohren fest und schrie mir ins Gesicht: Nur die Frauen! Aber vielleicht, so dachte ich, versteh‘ ich sie einfach nicht, vielleicht bin ich immer noch der kleine, unbedarfte Junge von damals. In diesem Augenblick explodierte etwas in meiner Brust und wie ein heißer Schwall stieg es in mir hoch. Ich lass’ mich nicht so leicht ins Bockshorn jagen! brüllte es in mir, und dann sah ich rot. Zufrieden nickend und seine winzigen Daumen empor streckend verschwand der Zwerg in der Menge, und ich stieg wieder ins Spiel ein, in einer heißen Wolke roter Wut stieg ich ein, und mit einer jähen Bewegung nahm ich Liliths Mund in Besitz und machte auch vor ihren Brüsten nicht mehr Halt. Und in
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