Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
gewesen, was sie mir in der Betonung der weiblichen Konturen hatte mitteilen wollen: schaue nicht mehr auf mich als Person, sondern sehe in mir nur noch ein Objekt, vergiss den Inhalt, nimm dir die Form, bei mir gibt es nichts zu hoffen, nichts zu erwarten, also nimm dir, was du willst! Unter der Maske von Lilith, jener Frau, die eigensinnig Adam um sein gottgegebenes Recht gebracht hatte, oben zu liegen, hatte sich eine Lili verborgen, die ihr Recht auf Eigensinnigkeit aus der Hand geben und demjenigen zu Willen sein wollte, der hinter die Maske blickte. Also genoss Lili es, sich mir auszuliefern. Und es erwies sich als äußerst treffend, dass ihre Wahl auf mich gefallen war.
Denn dass es ihre Wahl gewesen war, dass sie es gewesen war, die die Regeln des Spiels nach ihren Wünschen aufgestellt und mich als ihren Partner ausgesucht hatte, stand außer Frage. Letztlich war es ebenso gut Ausdruck von Eigenmächtigkeit, seinen Wunsch durchzusetzen, oben zu liegen, wie sich nach eigenem Belieben einem fremden Willen auszuliefern, ja, eigenmächtig zu entscheiden, wann man ohnmächtig sein wollte und wann nicht. Die Freiheit, die ich genoss, war die Freiheit, sich ungehemmt auf dem Spielfeld bewegen zu dürfen, dass sie in seinen Grenzen (und seien sie auch noch so weit) abgesteckt hatte. Die Macht, die ich über sie hatte und die ich genoss, war mir durch sie selbst gegeben worden, und hätte ich mich ihrer Wahl nicht als würdig erwiesen, so wäre ich draußen gewesen aus dem Spiel. Aber ich hatte verstanden, was sie in dieser Nacht brauchte und weswegen sie zuvor meinen Annäherungen so unbeteiligt begegnet war, und aus diesem Verstehen entstand Nähe auf eine Weise, die mir bis dato unbekannt gewesen war.
Und so entsprach sie meinem Wunsch. Lili hob die Perücke vom Boden auf, ging auf die Toilette und kam als Lilith zurück. Dann begab sich auf die Tanzfläche zu Udo. Lilith nahm aus seiner Bierflasche einen tiefen Schluck und begann zu tanzen. Sie schloss ihn in einen Kreis von Bewegungen ein, der nicht nur ihn schwindelig machte, wie ich mit Genugtuung beobachten konnte. Gewissermaßen hatte ich Lili auf die Straße geschickt, und nun sah ich mit Befriedigung, dass sie ihr Geld wert war. Es war scheußlich, menschenverachtend, aber ich liebte es, und die Blicke, die mir Lilith zwischendurch zuwarf, zeigten mir, dass auch sie die Rolle genoss, die ich ihr zugewiesen hatte. Sie zog ihre Kreise immer enger. Udo stand da wie vom Donner gerührt. Ich glaubte fast, ihn erzittern zu sehen, wenn Liliths Brüste ihn wie unabsichtlich berührten. Ich jedenfalls zitterte. Nie zuvor habe ich eine Frau so begehrt wie Lilith in diesen Momenten, als sie an den Fäden meines Willens tanzte, da sie ihre Hüften kreisen ließ, sich in die Haare griff, um ihre Brüste vorteilhaft zu heben, da sie Udos flackernde Blicke auf sich zog, ihn schließlich wie verabredet an der Hand nahm und zu der ruhigen Stelle führte, wo ich schon im Dunklen auf sie beide wartete.
Ich musste schmunzeln, erinnerte mich mein Verhalten doch an das meines Mörders aus meinem Roman. Hat wohl ein wenig abgefärbt , dachte ich lächelnd. Lauernd wie eine Spinne im Netz. Der gespannt-gierige Blick des Jägers, den Köder schon ausgelegt, bald wird das Opfer in die Falle geraten sein. Interessant übrigens, dass unsere Sprache diese Zusammenhänge aus dem Blickwinkel des Täters wiedergibt. So spiegelt das Genus des Wortes Opfer den Akt des Tötens aus der Sicht des Mörders, und nicht aus der des Opfers: denn für ihn ist das Opfer (egal welchen Geschlechts) ein Neutrum. Ein Ding, ein Es, kein Mensch, sondern Material, das allein über seine Brauchbarkeit für die Ziele des Mörders Bedeutung erlangt, ein Objekt, das in seinem Sinn ganz vom Subjekt abhängt. Wie hatte ich es doch bei meinen Recherchen zum Roman erfahren: Manipulation. Dominanz. Kontrolle, auf diese drei Losungen ließe sich das Verhalten gewaltorientierter Serientäter bringen.
Doch als Lilith sich vorne über beugte und ihren Rock hochschiebend sich anschickte, Udo noch tiefer in die Dunkelheit hineinzuführen, bekam ich Skrupel. Aber lag es nicht in meiner Macht, den Spielablauf zu ändern? So trat ich aus der Verborgenheit heraus. Lilith spürte wohl meine Bewegung, denn sie strich sich die langen Haare aus dem Gesicht und blickte mich fragend über ihre Schulter hinweg an. Udo hinter ihr mit heruntergelassenen Hosen war zu sehr mit dem Kondom beschäftigt, um mich zu bemerken. Er
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