Abschied und Wiedersehen
Fertigkeit erworben, aber es dauerte gar nicht lange, bis auch ich den seitenverkehrten Text ohne Schwierigkeiten las. Es waren ja zumeist auch nur kurze Dialoge, die eingeblendet wurden: »Denken Sie an meine Ehre, Herr Leutnant!« - »Oh Komtess, kosten Sie vom Becher des Glücks, solange er sich Ihnen darbietet!« Dann nahm er sie in seine starken Arme und trug sie zum Sofa im Hintergrund. Kurt Gronwald kniff mich vor Spannung in den Arm, und auch ich hielt den Atem an. Aber im spannendsten Moment wurde, wie es später Tucholsky bedauernd feststellte, leider >abjeblendt<...
Der ergreifendste dieser patriotischen Rührschinken aber war zweifellos ein Film mit dem Titel »Das Vaterland ruft«. Darin war ein fescher Leutnant in heißer Liebe zu einer Schauspielerin entflammt. Wehen Herzens mußte sie den Geliebten ins Feld ziehen lassen, entsagte in hehrem Pflichtgefühl Bühnenruhm und Karriere, zog das schlichte Schwesternkleid an und traf gerade rechtzeitig im Frontlazarett ein, um den schwerverwundeten Geliebten bei einem überraschenden Angriff auf das Lazarett aus dem Feuer zu schleppen und in aufopfernder Pflege für das Vaterland und für neue Heldentaten auf die Beine zu bringen. - Im Kino wurden die Taschentücher ausgewrungen, und auch wir, die wir hinter der Leinwand saßen, ließen die Tränen tropfen.
An diese Heldenschnulzen der ersten Kriegsjahre sollte ich fast dreißig Jahre später auf recht seltsame Weise erinnert werden. Ein Trottel von Sanitäter hatte mir durch stundenlange Bestrahlungen mit einem Kurzwellengerät den Ischiasnerv im rechten Oberschenkel angeschmort. So lag ich im Frühjahr 1944 gänzlich unheroisch, aber von höllischen Schmerzen geplagt, in Sparz, einer zum Lazarett umgewandelten Schule der Englischen Fräulein in Traunstein, als mich ein Brief erreichte, dessen Absender Herr Duday war, einer der Topmanager der UFA. Ich war Obergefreiter, er Oberstleutnant und in dieser Eigenschaft Chef eines Kriegsgefangenenlagers, was ihn aber nicht hinderte, weiter für die UFA zu wirken. Wir kannten uns aus zivilen Zeiten. In liebenswürdigster Form schrieb er mir, er habe davon gehört, daß ich im Lazarett läge. Zwar sei er davon überzeugt, daß die ärztliche Betreuung in Sparz ausgezeichnet sei, dennoch könne er sich vorstellen, daß es in den Badeorten Deutschlands, der >Ostmark< oder des besetzten Böhmen Lazarette oder Privatkliniken gäbe, in denen man bei meinem spezifischen Fall über bessere Behandlungsmöglichkeiten verfüge. Er könne sofort eine zeitlich unbegrenzte Uk-Stellung für mich erwirken, ferner sei er ermächtigt, mir ein Honorar von 30000 Mark vorzuschlagen, eine Summe, auf die er sich aber durchaus nicht festlegen wolle. Meine Aufgabe, mit der ich Führer und Volk dienen könne, bestände darin, zunächst das beigefügte kurze Exposé zu einem Film-Treatment zu verarbeiten und nach diesem Treatment, falls es Zustimmung finde, das Drehbuch für einen Film zu schreiben, dessen Titel noch nicht festliege. Das Exposé selber stamme aus der nächsten Umgebung des Herrn Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, sei ihm vorgetragen worden und habe seine volle Zustimmung gefunden.
Das Exposé hatte den Umfang von eineinhalb weitzeilig geschriebenen Maschinenseiten und erinnerte mich in vertrackter Weise an die soeben erwähnte Kriegsschnulze von 1916 oder 17 »Das Vaterland ruft«. Hier war ein Hauptmann, Träger des EK I, der mit seinem Infanterie-Bataillon an der Ostfront lag. Sein treuer Bursche war mit ihm von Anfang an dabei. In der Heimat zurückgelassen hatte er die geliebte Verlobte, eine berühmte Sängerin (oder Schauspielerin), an deren Zofe wiederum der Bursche sein Herz verloren hatte. (Randbemerkung: Lustige Figuren! Just und Franziska in >Minna von Barnhelm<) Um Führer und Vaterland zu dienen, hat die Braut des Hauptmanns ihr Engagement aufgegeben, um sich mit ihrer Kunst der Truppenbetreuung zu widmen. Und so gibt es eines Tages ein heimlich erhofftes, aber nie erwartetes Wiedersehen der Liebenden an der vordersten Front, wo die Künstlerin in einer provisorisch zu einem Vortragssaal umfunktionierten Scheune den armen Frontschweinen einen lang entbehrten Kunstgenuß verschaffen will. Gerade für diese Stunde aber hat der Feind auf breiter Front einen Großangriff angesetzt. Absicht des Feindes ist es, an jenem Abschnitt, den unser Hauptmann mit seinem Bataillon hält, tief in die deutschen Stellungen einzubrechen, um die deutsche Front
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