Abschied und Wiedersehen
Geburtstag überraschte mich Vater durch eine Spendierlaune, die ich ihm nie zugetraut hatte und die auch gar nicht in seiner sonstigen Art lag. Er schenkte mir nämlich einen photographischen Apparat«, Marke Ernemann, Format 9 mal 12, Extra Rapid Aplanat, mit sechs Kassetten und einem gewaltigen Holzstativ. Und damit nicht genug, überreichte er mir auch noch ein Fernglas, bei dem allerdings der Augenwulst um die linke Okularlinse fehlte. Nun, sooo spendabel, wie es den Anschein hatte, war Vater gar nicht gewesen. Beide Geschenke hatte er auf einer Asservaten-Versteigerung im Amtsgericht erworben, das Fernglas für eine und den Fotoapparat samt Stativ für drei Mark. Das Fernglas stammte aus dem Besitz eines Mannes, der wegen Spionage verhaftet worden war, und den Fotoapparat hatte ein Polizist in Kranz einem Sittenstrolch abgenommen, der dort durch ein Astloch des Bretterzaunes das muntere Treiben im Damenbad auf die Platte bannen wollte. So ein Schwein! Was er dort zu finden hoffte, bleibt aus heutiger Sicht ziemlich unklar, denn auch im Damenbad stieg man bis zum Halse geschlossen und weit übers Knie bedeckt in die Fluten der Ostsee.
Einer unserer Professoren, der in den höheren Klassen Mathematik- und Physik-Unterricht erteilte, war ein leidenschaftlicher Amateur-Astronom. Auf Schulausflügen versäumte er es nie, mit feinem Humor nicht nur auf das moralische Gesetz in uns, sondern auch auf den gestirnten Himmel über uns hinzuweisen. Er führte interessierte Schüler auch auf die Sternwarte am Volksgarten, in der Bessel die erste exakte Entfernungsmessung eines Fixsterns gelungen war, des Sterns 61 im Schwan, was der Professor für eine sehr wichtige Tat zu halten schien. Weil sich Sterne bekanntlich nur in der Nacht beobachten lassen, machte diese Exkursionen zur Sternwarte ein Haufen von Pennälern aller Altersstufen mit, wobei das Interesse vermutlich aber weniger der Astronomie als einem nächtlichen Bummel durch die Straßen galt, von denen die in der Nachbarschaft der Sternwarte liegenden Lavendel-, Wagner-, Rosen- und Stritzelstraße nicht gerade den besten Ruf genossen. Was hier passierte, versuchte mir mein Klassenkamerad Reuter anhand eines Fotos zu erklären, das er seinem Vater aus der Brieftasche geklaut hatte. Auf diesem unzüchtigen Bild knöpfte eine junge Dame ihr Stiefelchen zu und ließ dabei ihr Bein bis über den Strumpfhalter, ein Gummiband mit Rosette, und sogar darüber noch ein winziges Stückchen unbekleidetes Fleisch sehen. »Siehste«, sagte Reuter und kniff ein Auge zu, »und so’ne Schweinereien machen die da!«
Mit dem Refraktor der Sternwarte konnte mein Glas natürlich nicht mithalten, aber es bedeutete doch eine gewisse Verpflichtung, die Astronomie mit einigem Eifer zu betreiben, was mir Wohlwollen des Professors eintrug. Nach kurzer Zeit kannte ich ein Dutzend Sternbilder und konnte zwei Dutzend Stern-Namen wie Antares, Aldebaran, Beteigeuze und Rigel geläufig herunterschnurren, aber da mir in vielen Nächten weder die Entdeckung einer Supernova noch die Fixierung des dunklen Siriusbegleiters gelang, erlahmte mein Interesse an der Astronomie bald. Um so eifriger wandte ich mich der Fotografie zu, vor allem, weil ich bald entdeckte, daß sich mir damit eine höchst willkommene Einnahmequelle erschloß. Vater wird den Einfall, mir eine Kamera zu schenken, wohl bald verwünscht haben. Denn ich lag ihm ständig auf der Tasche. Da brauchte man zunächst Platten, dann Glasschalen zum Entwickeln, Fixieren und Wässern, Metholhydrochinon und Fixiersalz, einen Kopierrahmen und Tageslichtpapiere, bei denen es durch Überbelichtung viel schwarzen Ausschuß gab. Und wenn Vater sich total zugeknöpft zeigte, dann blieb mir leider nichts anderes übrig, als mit Rudi und Helmut dem Gärtner Adler wieder einmal einen nächtlichen Besuch abzustatten und die Beute mit Mütterchen Baltruschat zu teilen.
Noch hatten die Kriegsspiele auf Schulausflügen in den Aschmannpark hinter Maraunenhof oder auf den Galtgarben ihren Reiz nicht ganz verloren, wenn auch bei unseren Professoren eine gewisse Kriegsmüdigkeit zu bemerken war, denn manche von ihnen hatten inzwischen ihre Söhne auf dem Felde der Ehre verloren, andere waren zu unterernährt, um mitzumachen, und einige begannen, sich über den Krieg ihre eigenen Gedanken zu machen. Von der frischfröhlichen Begeisterung der ersten beiden Kriegsjahre war bei keinem von ihnen mehr viel zu spüren. Bei uns war das anders, vor allem bei den
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