Abschied und Wiedersehen
seinem in unseren Ohren sehr komisch klingenden Schwäbisch, »ischt einfach indischkutabel. Darüber werde mer privat miteinander dischkutiere. Sage mer um fünf in meiner Wohnung. Die Hefte bringt ihr mit.«
Pünktlich um fünf rückten wir mit unseren Heften bei ihm an. Er hauste auf dem Vorderen Roßgarten in zwei Zimmern mit separatem Eingang, öffnete uns auf unser Klopfen und führte uns durch einen endlosen Flur in sein Arbeitszimmer. Was uns den Atem verschlug, waren mindestens fünfzig Paar Schuhe, die tadellos geputzt und sauber ausgerichtet zu beiden Seiten des langen Korridors auf dem blanken, grünen Linoleumboden standen. Erstklassige, teure Lederschuhe, nagelneu oder so gut wie neu, wie es sie bei Gronwald oder bei Tack in der Kneiphöfschen Langgasse schon längst nicht mehr gab. Wir liefen auf Holzsandalen mit einer Fersenkappe, die aus >Leder mit Pappe verstärkt< bestand. So las man es auf der Preistafel im Schaufenster. Das Preisschild war von den Farben Schwarz-Weiß-Rot umrahmt, und über den Worten >Leder mit Pappe verstärkt< stand in fetten Druckbuchstaben der innige Wunsch von Herrn Tack: GOTT SCHÜTZE DEUTSCHLAND! - Die Schuhparade, die wir hier sahen, machte auf uns einen überwältigenden Eindruck. Und wenn wir bis dahin befürchtet hatten, im Arbeitszimmer von Herrn Dr. Metzger für unsere miserablen Leistungen gerüffelt zu werden, so erlebten wir eine sehr angenehme Überraschung. In einer Ecke des Zimmers stand eine Liege mit vielen bunten Kissen, und davor ein niedriger Tisch, und auf dessen ziselierter Messingplatte eine weiße Porzellanplatte mit appetitlich angerichteten Broten.
»Nun wolle mer erseht mal futtere«, sagte Herr Dr. Metzger und lud uns ein, auf der Liege Platz zu nehmen. Er selber setzte sich uns gegenüber in einen kleinen Sessel. »Es ischt mein Abendbrot, aber ich meine, es langt für uns drei - und nun laßt es euch schmecken, Buwe.« Es war wie im Schlaraffenland, und nach so freundlicher Aufforderung genierten wir uns auch nicht lange, sondern griffen tüchtig zu. Sein Appetit schien nicht besonders groß zu sein, er plauderte, während wir futterten, über alle möglichen Dinge, kam bald auf unsere Leistungen im Sport zu sprechen, zeigte großes Interesse für unsere Arm- und Bein-Muskulatur und meinte, nachdem er unsere Muskeln abgedrückt hatte, er sei mit unserer >Muschkulatur< recht zufrieden - und ob wir uns wohl getrauten, zu zweit gegen ihn im Ringkampf anzutreten. Und ob wir uns getrauten! Sein burschikoser Umgangston, durch den er sich von unseren andern Lehrern aufs vorteilhafteste unterschied, nahm uns alle Scheu, und wir machten es ihm gar nicht leicht, uns auf den Rücken zu legen und mit seinem Gewicht durch Schultersiege zu bezwingen. Er mußte richtig keuchen, bis er uns aufs Kreuz legen konnte.
Und hinterher war er ganz erschöpft, aber doch nicht so sehr, daß er uns nicht empfehlen konnte, die Seite mit der unzensierten Klassenarbeit aus dem Heft zu reißen. Dann ließ er uns die Aufgaben noch einmal schreiben, diktierte uns die richtigen Lösungen, griff nach der roten Tinte und zensierte die Arbeiten mit einer glatten Zwei. Wir schieden als gute Sportfreunde von ihm, blieben gute Sportfreunde und brauchten uns um das Versetzungszeugnis nach Tertia keine Sorgen mehr zu machen.
»Mönsch, die Schuhe...!« sagte Alfred auf dem Heimweg. »Einen Schuhfimmel hat er auf jeden Fall, aber schwül ist er, glaub ich, nicht...«
»Der und schwül, nie im Leben!« meinte ich sachverständig, »die wo so sind, ziehen den Jungen die Hosen runter und knutschen sie ab. Nee nee, das ist ein Sportler!«
Daß es >Schwüle< gab, darüber waren wir in einer Naturkundestunde von Herrn Reuter aufgeklärt worden, dem das Thema sehr peinlich zu sein schien. Er nannte diese Herren allerdings Urninge und hatte uns vor diesen Unholden eindringlich gewarnt. Das war im Zusammenhang mit jener unangenehmen Affäre mit dem schweißfingrigen Sekundaner in der Sammelstelle geschehen, der nun wirklich ein übler Bursche gewesen war.
Es dauerte merkwürdigerweise lange Jahre, bis man dahinterkam, daß die Spiele, die Herr Dr. Metzger mit seinen Schülern trieb, doch nicht so harmlos waren - vielleicht aber waren sie inzwischen auch weniger harmlos und weniger sportlich geworden -, und ihn aus seinem Lehramt entfernte.
Von seinen 260 Pfund, die Vater 1914 auf die Waage gebracht hatte, waren ihm im letzten Kriegsjahr weniger als die Hälfte geblieben. Aus dem
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