Abschied und Wiedersehen
hatte einen Haufen neue Freunde gefunden, die hier mit ihren Eltern in ähnlichen Sommerquartieren wie wir lebten und mit denen ich mich am Strand und in den Dünen mit viel Geschrei zu Wasser und zu Lande herumbalgte.
Kranz war eigentlich ein ziemlich langweiliges Nest mit flachem Strand, einer langen Seepromenade und flachem Hinterland, durch dessen sumpfige Gründe man schon bei der Bahnfahrt zuweilen mächtige Elche ziehen sah. Als Motiv für die Landschaftsmaler von der Kunstakademie hochwillkommene Objekte. Aber selbst wenn Vater für den ersten Urlaub an der See Rauschen, Warnicken oder Neukuhren an der bezaubernden, traumhaft schönen Bernsteinküste mit ihrem glitzernden Strand, der hochaufragenden, schluchtenzerschnittenen und von Lupinen blau und gelb überschäumten Steilküste gewählt hätte, ich weiß nicht, ob diese verlorene und unvergessene Traumlandschaft auf einen Jungen meines Alters einen sonderlichen Eindruck gemacht hätte. Was Kranz bot, genügte mir vollauf, es war die Erfüllung eines Ferientraums, der seine höchste Vollendung fand, als ich mich mit einem von den Kranzer Fischern anbiederte und von ihm zum Auslegen der Köderleinen für Aale und Lachse mitfahren durfte. Es war ein wortkarger alter Mann, klein und stämmig, mit langen Armen, an denen zwei verhornte Fäuste hingen, einer dicken Nase, hellen, ständig verkniffenen Augen und einem kurzen Bart von der Farbe einer Torfasche, in der noch ein paar Funken glühten. Ich durfte Köder schneiden und die Flaken bestecken. Groß war die Beute, mit der wir heimfuhren, nie, und er trauerte den alten Zeiten nach, in denen die Fänge das Boot jedesmal fast zum Kentern gebracht hätten.
»Na und denn, Heinrich?« fragte ich und war mit dem mageren Fang, der das Boot nicht zum Kentern brachte, ganz zufrieden, »denn wärst abjesoffen...« Er konnte nämlich nicht schwimmen. Es war fast unglaublich, aber von den Fischern, sogar von den jungen, hatte kaum einer schwimmen gelernt.
»Schwimmen?« sagte er und schob den Priem in die andere Backe, »wozu soll ich mir lange abzappeln. Nei, nei, da machst noch einen Schnapper und bist wech. Seemannsdot, das darfst mir glauben, Jung, dat is der scheenste Dot, wo jefft.« Es war eine der längsten Reden, die Heinrich je von Stapel gelassen hatte. Zu überzeugen vermochte er mich trotzdem nicht. Zu der Überzeugung, daß er wie immer recht gehabt hatte, kam ich knapp vier Wochen später. Wir schwammen daheim im Hammerteich auf das Floß zu, das in der Mitte des Teiches verankert lag. Eine Gruppe von etwa einem Dutzend Jungen hielt es besetzt, und recht viele mehr konnte es auch nicht tragen. Wie immer kam es zu einer Balgerei, wir wollten hinauf, die andern stießen uns zurück, mit den Füßen, mit den Fäusten und mit dem Wriggruder, das immer auf dem Floß parat lag. Und dabei bekam ich zunächst einen Hieb über den Schädel und wurde von einem Jungen, der über meine Schultern aufs Floß klettern wollte, unter dessen Rundstämme gedrückt. Ich machte, wie Heinrich sich ausgedrückt hatte, noch einen Schnapper und >war wech<. Das heißt, in den wenigen Sekunden, in denen ich noch halb bei Bewußtsein war, zog lebhaft und gestochen scharf eine Filmszene an mir vorüber, in der ich mit den Eltern und Großeltern daheim am Kaffeetisch saß, dick mit Zucker bestreute Waffeln aß und dazu Kakao trank, bis der Film sich verdunkelte und in einen purpurnen Nebel auflöste. Ich glitt ganz schnell und ohne die geringste Spur von Angst hinüber. Zum Glück fiel einem Jungen von meiner Bande mein Verschwinden auf, sie tauchten, holten mich unter dem Floß hervor, hievten mich herauf und schrien, als ich wie eine ersoffene Katze auf den Bohlen lag, nach dem Bademeister. Der verstand etwas von der Sache und pumpte mich nach einiger Zeit ins Leben zurück. -Als die Ferien zu Ende gingen, war Vater braun wie ein Neger und hatte einige Kilo heraufgepackt. Auch mir stachen die Rippen nicht mehr so jämmerlich durch die Haut. Nur Mutter schwor grimmig, daß sie sich so etwas nie wieder im Leben antun werde, und wenn wieder normale Zeiten kämen, dann wolle sie noch fürs Frühstück und fürs Abendbrot sorgen, aber zu Mittag werde im Lokal gegessen. Dabei zitterten ihr die Lippen, und sie machte ein Gesicht, als würden ihr im nächsten Augenblick die Pferde durchgehen. Sie war mit den Nerven wirklich fertig. Es passierte höchst selten, daß sie mit Vater in die Wolle geriet, aber wenn es geschah, hatte Vater
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