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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Bubentagebuch blättere, so erscheint es mir höchst merkwürdig, daß da von Tauschgeschäften, Prügeleien, Feindschaften und Versöhnungen, nie aber vom Krieg die Rede ist, der uns doch bewegt haben muß. Spielte er sich zu weit entfernt ab? Oder war er zu einem Zustand geworden, an den wir uns so sehr gewöhnt hatten, daß wir ihn gar nicht mehr bemerkten? Was dachten wir uns, wenn ein Klassenkamerad einige Tage fehlte und dann mit einer schwarzen Armbinde in die Schule kam, weil der Vater gefallen war? Etwa Armin Bender; er hatte seinen Vater vier Jahre lang kaum gesehen, und wenn er dann einmal auf Urlaub kam, dann hatte er am Sohn so viel auszusetzen gehabt und ihm wahrscheinlich auch dann und wann das Fell gegerbt, daß der Armin froh war, wenn der Alte wieder verschwand. Und dann gab es diesen merkwürdig harmlosen Ausdruck für den Tod vor dem Feind: gefallen... Lieber Gott, wie oft fielen wir, schlugen uns die Knie blutig und standen jedesmal wieder munter auf. Aber das sind wohl sehr abwegige Gedanken... Der Armin jedenfalls keilte sich gleich am ersten Tag mit der Schwarzen Binde am Arm mit dem Helmut Chrysant in der Zehn-Uhr-Pause auf dem Schulhof, wie er sich vordem mit anderen Jungens geprügelt hatte. Die Lehrer behandelten ihn vierzehn Tage lang wie ein rohes Ei, und der sonst recht strenge Dr. Buttersack gab ihm eine total verbogene Französisch-Arbeit unzensiert mit den Worten zurück: »Nun, du hast jetzt wohl andere Gedanken im Kopf als die verbes irréguliers, mein Junge...« Es war fast beneidenswert, was solch eine schwarze Armbinde alles zuwege brachte. -Kurz vor Beendigung unseres Herbst-Schuljahres erneuerten wir die Bekanntschaft mit unserem alten Vorschullehrer Hoffmann, den ich so sehr geliebt hatte. Er brachte uns mit seiner schönen Handschrift die griechischen Buchstaben bei, die wir beim Eintritt in die Tertia beherrschen mußten. Obwohl wir mit ihm drei Jahre lang nichts zu tun gehabt hatten, kannte er uns alle noch beim Namen. Als er mich entdeckte, grinste er in der Erinnerung an den Heiratsantrag, den ich ihm für meine Schwester Else gemacht hatte, freundlich und sagte: »Na, und was macht dein großer Bruder, der Cimber?« - Als ich ihm sagte, daß Ernst bei Cambrai gefallen sei, verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht, er legte mir die Hand auf die Schulter und murmelte: »Entschuldige, Jungchen, das habe ich nicht gewußt.« - Bald kam der letzte Schultag mit der Aushändigung der Versetzungszeugnisse, es kamen die Kartoffelferien, und dann gab es gleich nach Schulbeginn eine hochnotpeinliche Untersuchung, mit der der Geheimrat Herrn Hoffmann betraute, wahrscheinlich, weil der uns am längsten und am besten kannte.
    Am letzten Tag der Kartoffelferien war nämlich unser Klassenkamerad Herbert Harder gestorben, vielleicht an der gerade herrschenden Grippe, vielleicht aber auch an einer Meningitis. Was er in den Fieberdelirien seines Todeskampfes erzählt hat, scheint seine Eltern, wohlhabende Leute, denen eine Villa in Maraunenhof gehörte, tief verstört zu haben. Jedenfalls bestand der Vater Harder darauf, daß der oder die Verführer seines Sohnes von der Schule entfernt würden. Zum Glück gehörte ich nicht zum engeren Freundeskreis des Toten, an dessen Grab auf dem Neurossgärter Kirchhof wir das bereits eingeübte »Integer vitae< singen sollten, was dann aber der Vater sich verbat. Nun ja, inzwischen trieben wir alle - oder fast alle - mit mehr oder weniger Hingabe jenes Spielchen, zu dem mich Rudi Gutbrod schon vor langer Zeit zu animieren versucht hatte und von dem er behauptete, daß man dabei ganz wunderbare Gefühle verspüre. Damals hatte ich mich vergeblich bemüht, was den Rudi zu der Bemerkung veranlaßt hatte, daß ich dafür wohl noch zu blöd sei. Jetzt also machte man diese heimlichen Spiele für den Tod von Herbert Harder verantwortlich und versuchte in Verhören, die sich über Tage erstreckten, die Verführer und Schuldigen an diesem Todesfall zu überführen. Und weil es bei diesen Untersuchungen keine offene und natürliche oder auch nur halbwegs offene Sprache gab, wanden sich die Inquisitoren wie die Schlangen um das heikle Thema herum oder bohrten die zu den Verhören beorderten Jungen mit Fragen an, als gelte es, einen verbogenen Korkenzieher durch einen allzu engen Flaschenhals zu treiben. Unser neuer Klassenleiter, Dr. Conradi, ein jovialer Mann mit einem zerhackten Corpsstudentengesicht, sah in seinen Stunden mit steinernen Augen über uns

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