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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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vor Beginn der Morgenandacht bei dem neuen Chef, Dr. Kröhnert, zu melden gedachte. Ich klopfte ziemlich schüchtern an die Tür des Direktoratszimmers, hörte ein barsches >Herein< und dachte mir, ganz so liebenswürdig, wie Vater ihn mir geschildert hatte, schien der Chef nicht zu sein. Aber die Aufforderung zum Eintreten kam auch gar nicht von ihm, sondern von Herrn Folgmann, dem Hausmeister, der gerade dabei war, auf die ersterbende Glut im Kachelofen neue Torfstücke zu schichten. Ich erfuhr, daß der Herr Direktor noch in seinem Hause beim Frühstück sei und erst zur Morgenandacht erscheinen werde. Von einem hohen Regal an der hinteren Längswand des Zimmers blickten links aus blinden Augen Homer und rechts Sokrates auf mich herab. Eine dicke Schicht von rötlichem Torfstaub auf dem kahlen Schädel des Philosophen täuschte einen wolligen Haarwuchs vor. Herr Folgmann gab mir den Rat, zunächst in meine Klasse am anderen Ende des Korridors zu gehen, die Andacht mitzumachen und mich später wieder im Direktorat zu melden. So trottete ich denn an vier oder fünf lärmerfüllten Klassenzimmern vorüber, kam vor die Tür mit der Aufschrift U III und hängte Mantel und Mütze zu den Mänteln, die dort schon an den Knaggen hingen. Ich drückte die Türklinke mit einem bangen Gefühl im Herzen herunter. Das Klassenzimmer war über dem mannshohen Sockel aus grauer Ölfarbe weiß getüncht. Dem Katheder gegenüber hing schwarzgerahmt ein Öldruck, »Siegfrieds Tod< von Schnorr von Carolsfeld. Im Friedrichskolleg hatte das gleiche Bild an der Wand des Klassenzimmers der Quinta gehangen. Es schien sich um ein Standardwerk für die Unterstufen der preußischen Gymnasien zu handeln, das vom Provinzial-Schulkollegium in größerer Stückzahl eingekauft worden war. Vor den hohen Rundbogenfenstern, die einen Ausblick auf den Vorplatz mit den kahlen Kastanien gewährten, standen in kleinen Gruppen ein Dutzend Jungen herum, unter denen ich Alfred Klahr entdeckte. Er kam auf mich zu, schlug mir auf die Schulter und schrie viel zu laut, denn der Lärm war plötzlich verstummt und ein Dutzend Augenpaare musterten mich kühl, daß ich der Neue aus Königsberg sei, von dem er schon erzählt habe. Und während ich mich zu seiner Gruppe gesellte und mir neue Namen einzuprägen versuchte, tröpfelte nach und nach der Rest der Klasse herein, unter ihnen Reske, Tichauer und Stärker, die ich schon kannte. Der Lärm schwoll wieder an, die Gespräche drehten sich um Namen, die ich nicht kannte, und es sagte mir auch nichts, als ich erfuhr, daß wir als Klassenleiter den >Eigens< bekämen, eine Nachricht, die mit freudigem Geheul begrüßt wurde. Herr Eigens schien demnach ein recht patenter Mann zu sein.
    »Was ist das für einer, der Eigens?« fragte ich Reske. Zunächst drehte er vor seiner Stirn an einer imaginären Kurbel, und dann sagte er: »Er heißt in Wirklichkeit Heinrichs. Alle Schrauben sind bei dem nicht fest angezogen...«
    »Und weshalb nennt ihr ihn Eigens?«
    Der Reske wuchs in die Höhe, bekam nervöse Gesichtszuckungen und sagte mit einer sanften, aber merkwürdig hohen Stimme: »Gebt acht, Buben, für die heutige Stunde habe ich eigens eine Zeichnung angefertigt...«
    So war das also. - Während die Strategen noch an den letzten Finessen der Sitzordnung feilten, um die Asse in den einzelnen Fächern auf die günstigsten Positionen zu verteilen, läutete draußen Herr Folgmann mit einer schweren Stielglocke zur Andacht. Die Klassen ordneten sich zwanglos, und ich schob mich zwischen den neuen Freunden Reske und Klahr über die breite Treppe zur Aula empor, in der die vorderen Bankreihen bereits von den unteren Klassen besetzt waren. Wir zwängten uns hinter ihnen auf die langen Bänke, nach uns kamen die Obertertianer, die Sekundaner und schließlich auch die Primaner, sieben an der Zahl, zum Teil ältere Herren, von denen der eine, ein v. Saint-Paul, noch in den letzten Kriegsmonaten zum Leutnant befördert worden war. Er trug Reitstiefel und seine alten Leutnantsbreeches und sah ziemlich angewidert aus, als ob er den Pennalbetrieb nicht freiwillig mitmache; seinem Vater gehörte ein Rittergut in der näheren Umgebung, und der alte Herr hatte es mit einigem Energieaufwand durchgesetzt, daß der Sohn das Abitur mit einiger Verspätung nachholte.
    Die Aula war ungeheizt. Draußen trieb der April seine Scherze und wirbelte einen späten Schneeschauer gegen die Fensterscheiben. Es zog beträchtlich, und einer der Herren vom

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