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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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jetzt seit einer halben Stunde, und nun stehen Sie mir sogar Auge in Auge gegenüber und sprechen mit mir, wie Sie mir am 25. November des vergangenen Jahres gegenüberstanden, um mir mein Todesurteil zu verkünden! Glauben Sie, daß man den Mann, von dem man tagelang verhört, von dessen Kreaturen man geprügelt und gefoltert wurde und der einem schließlich das Todesurteil verlas, mit irgend jemand verwechseln kann?« Die Sache wurde ungemütlich. Ich hatte das unglaubliche Glück gehabt, die beiden letzten Kriegsjahre auf einem angenehmen Druckposten unter den angenehmsten Vorgesetzten als Oberschnapser im Wehrmeldeamt zu überleben, mit der Erlaubnis, privat zu wohnen und im Gasthaus zu essen. Die >Traube< war mein Stammlokal geworden. Sollte ich mir jetzt wegen einer blöden Verwechslung eine Kugel in den Schädel jagen lassen? Es kam in den ersten Nachkriegswochen nicht gerade selten vor, daß jemand mit eingeschlagenem Schädel oder erschossen aufgefunden wurde. Die Militärpolizei kümmerte sich wenig darum, da sie wichtigere Dinge zu tun hatte, zum Beispiel Leute einzusperren, die die >curfew< um einige Minuten überschritten.
    Meine Tischgenossen, die mein Gespräch mit Herrn Jokay zuerst amüsiert verfolgt hatten, mischten sich ein und versuchten, Herrn Jokay davon zu überzeugen, daß er sich irre, daß mein Name nicht Berger sei, daß ich nie Obersturmbannführer sondern Obergefreiter gewesen sei und daß ich seit gut zwei Jahren täglich mittags und abends an dem runden Stammtisch gesessen habe. Herr Jokay lächelte böse und meinte, das hätten wir gut einstudiert, aber auf dieses Alibi sei er vorbereitet gewesen. Es nützte nichts, daß der Traubenwirt, Herr Härtl, ihm hoch und heilig beteuerte, daß ich bei ihm seit zwei Jahren Stammgast sei, und es nützte nichts, daß Fräulein Emma, unsere nette Bedienung, die uns manchmal ein paar Fleischmarken heimlich zuschob, alles, was ihr Chef sagte, Wort für Wort bestätigte. Herr Jokay blieb stur dabei, daß wir eine verschworene Bande alter Nazis wären, denn je länger er mir gegenüberstände, je länger er meine Gestik beobachte, sich mein Mienenspiel anschaue, und je länger er mich sprechen höre, um so mehr wachse seine Überzeugung, daß ich jener Obersturmbannführer Berger sei, der ihn wenige Stunden vor der Befreiung Budapests zum
    Tode verurteilt habe. Sein Leben aber habe er nur der deutschen Gründlichkeit zu verdanken, daß die Erschießungen im Hof der Burg in alphabetischer Reihenfolge vorgenommen wurden und bei dem Buchstaben F aufhörten, als die Spitzen der Roten Armee bereits in die Burg eindrangen.
    Um es kurz zu machen: Ich ließ mein Stammgericht stehen und ging mit Herrn Jokay ins Rathaus zur MP. Dort saßen als Hilfspolizisten zwei ehemalige Oberfeldwebel, die mich beide gut kannten. Sie führten Herrn Jokay und mich zu ihrem Vorgesetzten, einem unfreundlichen, aber gut deutsch sprechenden Captain, der sich die Geschichte zunächst gelangweilt, dann aber in der Hoffnung, mit mir einen üblen Kriegsverbrecher geschnappt zu haben, interessiert anhörte. Die strammen Aussagen meiner beiden ehemaligen Oberfeldwebel, daß ich ihnen seit langer Zeit bekannt sei und im Traunsteiner Wehrmeldeamt Dienst gemacht habe, wischte er knurrend vom Tisch. Auch er schien allem, was deutsch war, zutiefst zu mißtrauen. Aber schließlich, nach stundenlangem Verhör, und nachdem ich mein Soldbuch und meinen Wehrpaß herbeigeschafft hatte, schien er doch davon überzeugt zu sein, daß ich nicht jener Obersturmbannführer Berger sein könne. Herrn Jokay sah ich deutlich an, daß er davon nicht überzeugt war - aber er war doch unsicher geworden. »Und trotzdem möchte ich schwören...«, murmelte er kopfschüttelnd. Und mit diesem Kopfschütteln verfolgte er mich noch einige Tage, bis ich meine ungarischen Bekannten, unter ihnen den Olympioniken von 1936, bat, ihrem Landsmann auf ungarisch klar zu machen, was er in deutscher Sprache nicht zu begreifen schien. Was sie ihrem Landsmann gesagt haben, weiß ich nicht, aber es muß sehr deutlich gewesen sein, denn kurz darauf war Herr Jokay aus Traunstein und aus meinem Leben verschwunden. Aber den Alpdruck dieser Begegnung bin ich lange nicht losgeworden. -

    Aber wohin habe ich mich da, durch die Erinnerung an den Namen meines ehemaligen Klassenkameraden Brusdeilins verführt, verirrt? Also zurück nach Bartenstein und zurück zum ersten Schultag nach den Osterferien, an dem ich mich eine Viertelstunde

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