Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
zunächst die Aufgabe: »Also, a plus b mal a minus b in Klammern zum Quadrat ergibt - a Quadrat plus...«
    »Halt, Schott«, unterbrach ihn der Eigens ruhig, »du betonst immer die Größen a und b, aber auf diese kommt es doch gar nicht so sehr an. Wichtig ist hier das Plus und das Minus... Also, bitte, noch einmal!«
    Aber Herbert Schott hatte auf stur geschaltet und wiederholte die Aufgabe wie beim ersten Mal in der gleichen Betonung...
    »Aber Schott«, ließ sich der Eigens vernehmen, »hast du denn nicht gehört, was ich gesagt habe? Es kommt auf das Pluuus und auf das Minuuuus an! Also noch einmal: a pluuus b mal a minuuus b...«
    Jetzt knisterte schon eine kleine Spannung im Raum. Was würde der Schott wohl machen? Nun, er blieb bei seiner eigenwilligen Betonung. Die Augen vom Eigens begannen zu funkeln, und seine Stimme schwoll merklich an. »Schott! Stelle dir zwei Hüte vor! Einen hohen Hut und einen niedrigen Hut. Und nun sprich mir nach: ein hoher Hut und ein niedriger Hut - denn das entspricht genau dem Plus und dem Minus zwischen den durch Buchstaben bezeichneten Größen. Also, bitte...!«
    Schott jedoch legte Wert darauf, die Hüte zu betonen. Der Eigens aber faltete die Hände, hob das Gesicht zur Decke empor, als richte er ein Gebet gen Himmel, und schrie: »Ein hoher Hut und ein niedriger Hut! Wiederhole das, Schott! Ein hoher und ein niedriger! Hoch und niedrig! Groß und klein! Schwarz und weiß!«
    »Was soll ich nun wiederholen?« fragte der Schott mürrisch. »Die Aufgabe, Schott!« schrie der Eigens, »die Aufgabe!!« Leicht geduckt und sprungbereit, hinter der Tafel Deckung zu suchen, falls es dem Eigens einfallen sollte, ihm das nächstbeste Trumm an den Schädel zu feuern, blieb Schott hartnäckig dabei, die Betonung auf die Hüte zu legen. Und da geschah es. Mit einer Behendigkeit, die wir dem langen, klapperdürren Mann nie zugetraut hätten, sprang er auf den Stuhl und vom Stuhl aufs Katheder, reckte sich empor, trommelte mit der Faust gegen die weißgetünchte Decke, bis sich dort von dem Blut aus seinen Knöcheln ein roter Fleck ausbreitete, brüllte »Hoch! hoch! hoch!«, sprang vom Katheder herab, landete auf dem geölten Fußboden, sank in die Knie, paukte mit beiden Fäusten auf die Dielenbretter, kreischte mit sich überschlagender Stimme »Niedrig! niedrig! niedrig!« und blieb, von einem Weinkrampf geschüttelt, in der Stellung eines betenden Mohammedaners liegen. Es war grausam. In der Klasse herrschte eine beklommene Stille, die das stoßende Schluchzen des Eigens noch zu vertiefen schien. Schließlich traten zwei von uns zu ihm, richteten ihn auf und führten ihn, der gebrochen in ihren Armen hing, über den langen Korridor zum Lehrerzimmer, wo sie ihn irgendeinem seiner Kollegen, der gerade Freistunde hatte, mit der Behauptung ablieferten, dem Herrn Professor wäre plötzlich schlecht geworden. -Eine üble Geschichte, eine böse Geschichte, die auch keiner von uns lustig fand, die aber dennoch bald vergessen war und uns nicht davon abhielt, den armen Eigens nach kurzer Zeit aufs neue bis zur Weißglut zu reizen. Und wenn wir es nicht waren, dann ließ ihn eine andere Klasse auf die Palme klettern. Dabei war es durchaus nicht üblich, weil nicht ungefährlich, Lehrer, die in Hauptfächern unterrichteten, zu üblen Streichen zu mißbrauchen. Schwerer hatten es Zeichen- und Gesangslehrer, sich Respekt zu verschaffen, denn was konnten sie einem schon mit einer schlechten Note im Singen oder Zeichnen antun? Nicht einmal die Sextaner nahmen die Drohung von Herrn Schott, >ihnen Steine in die Schülerlaufbahn zu Schmeißens ernst. Er kam, wie erwähnt, aus dem masurischen Dorf Groß-Golupken nach Bartenstein und beging leider den Fehler, sich dieser Herkunft häufig zu rühmen und, wenn ihm etwas an den Bartensteiner Schulverhältnissen nicht paßte, zu bemerken, daß das in Groß-Golupken ganz anders und viel besser eingerichtet gewesen wäre. Dort hätte noch Porschundek geherrscht! Seine Vorschüler hielt er auch hier mit dem Rohrstock in der Furcht des Herrn. Aber schon die Sextaner besaßen die Frechheit, am Text von »Ein feste Burg ist unser Gott« kleine Änderungen vorzunehmen, und sangen dreist: »Ein feister Borg ist unser Schott« - wobei zu bemerken ist, daß man jenseits der Weichsel mit dem Wort Borg das männliche Schwein zu bezeichnen pflegte. Ob es eine kleine zynische Bosheit von unserm Chef war oder ob ihn der Lehrermangel dazu zwang, Herrn Schott für den

Weitere Kostenlose Bücher