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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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elementaren Physik-Unterricht in der Unterstufe des Gymnasiums einzusetzen, sei dahingestellt, fest steht jedenfalls, daß er einen weniger geeigneten Mann selbst bei angestrengtem Nachdenken nicht hätte finden können. Der Arme schwitzte vor den Unterrichtsstunden Blut und Wasser, irrte mit dem Physikbuch oder mit dem Modell einer Dampfmaschine durch die Korridore, zog Sekundaner oder Primaner während der Pause in ein leeres Klassenzimmer oder in eine Türnische, um sich die Wirkung von Feuer, Wasser und Dampf auf den Kolben noch einmal erklären zu lassen - und erhielt in den meisten Fällen haarsträubende Aufklärungen über die geheimnisvollen physikalischen Vorgänge, so daß er in völliger Verwirrung durcheinanderbrachte, was nur durcheinanderzubringen war. Uber seine Versuche, den Schülern die Fliehkraft, den Aggregatzustand des Wassers, das Pendel oder die Gravitation zu erklären, kursierten Geschichten von zwerchfellerschütternder Komik. Er war ein Mann von mittlerer Statur, kurzhalsig und mit einem mächtigen Speckwulst im Nacken, der seinen Kopf nach unten drückte und seiner Haltung etwas geduckt Lauerndes gab. Zumeist trug er einen Rock in Cutaway-Form mit Schößen, die bis zu den Kniekehlen reichten. Er hatte tatsächlich etwas Keilerhaftes an sich, besonders wenn er sich beleidigt fühlte. Dann kriegte er dazu noch einen glubschen Blick. Ihn die Geige kratzen zu hören, wenn er mit den Vorschülern ein Lied einübte, tat den Ohren weh. Und ausgerechnet dieser amusische und völlig unmusikalische Mensch fühlte sich zum Orchester-Dirigenten berufen. Nicht als Organist, wohl aber als Organisator groß, gelang es ihm in kurzer Zeit, vom B-Baß bis zur Piccoloflöte ein Instrumentarium zu besorgen, mit dem man ein Vierzig-Mann-Orchester ausrüsten konnte. Eile tat not, denn in zwei Jahren sollte das fünfzigjährige Jubiläum des Gymnasiums in festlicher Weise begangen werden, und bis dahin mußten wenigsten einige Paradestücke des Orchesters sitzen.
    Da es wenig zweckmäßig war, Schüler, die demnächst ins Abitur stiegen, in das Orchester aufzunehmen, wandte Herr Schott sich an die jüngeren Jahrgänge. Wir waren inzwischen mit wenigen Ausnahmen nach Obertertia versetzt worden. Zu Beginn des neuen Schuljahres erschien Herr Schott in der großen Pause bei uns in der Klasse und entwickelte eine für ihn ungewöhnliche Beredsamkeit, um diejenigen, die bereits ein Instrument spielten, für sein Orchester zu gewinnen und die anderen, die musikalisch waren oder es zu sein glaubten, zum Erlernen eines Instruments zu beschwatzen. Er versuchte uns davon zu überzeugen, welche Vorteile jedem die Beherrschung eines Instruments später im gesellschaftlichen Leben bringen würde. Wermke mit seiner Violine, Walter Tichauer mit seinem Cello, sein älterer Bruder Ottokar, fast schon ein Geigenvirtuose, machten gleich, mit, ebenso wie Ernst Schmittat, der bei den Morgenandachten das Harmonium bediente. Herbert Schott entschied sich für die Baßgeige, um dereinst gesellschaftliche Erfolge zu ernten, Alfred Klahr für die Flöte, und Plaumann, dessen Vater in der Rastenburger Straße einen Friseur-Salon betrieb, wählte die Klarinette. Und da man mit der Klarinette immerhin besser als mit dem Kontrabaß im Gesellschaftsleben als Solist auftreten kann, entschied ich mich ebenfalls für dieses Instrument und erhielt von Herrn Schott einen kompletten Klarinettensatz ausgehändigt, eine in A, eine in B und die dritte in C. - Mit dieser Orchestergründung aber bekam Professor Hundsdörfer neues Wasser auf seine Mühle, wenn er nach Gründen für mangelhafte schulische Leistungen suchte: »Jungchen, du jefällst mir ieberhaupt nich mehr. Was ist mit dir? Spielst du vielleicht Fußball? Oder hältst du dir Kaninchen? Oder fotografierst du am Ende gar? Oder...« und jetzt plätscherte das neue Wasser aufs Mühlrad, »oder hat dir der - hm, hm, hm - Kolläje Schott eine Fijuchel oder sowas in die Hand jedrückt? Du wirst durchrasseln, Jungchen, wenn du Nebendinge treibst. Aber ob du jetzt Flöte oder zu Ostern Trübsal blasen willst - das ist deine Sache.«
    Da hatte ich nun drei Klarinetten und auch eine kleine Anleitung, mit den richtigen Fingern im richtigen Zeitpunkt die richtigen Löcher und Klappen zu öffnen oder zu schließen, aber wie ich auch das stimmgebende Blättchen aus Bambusrohr am Mundstück festschraubte oder lockerte, einen Ton kriegte ich aus dem Instrument nicht heraus, und wenn einer kam, dann klang

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