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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Während die Mannschaft ein blauweiß-gestreiftes Jersey trug, stand er mit einem knallroten Pullover und knallroten Stutzen im Tor, und tatsächlich schien das Rot den Ball mit magnetischer Anziehungskraft in seine Hände zu ziehen. Aber er wurde von uns nicht nur als Goalkeeper bewundert, noch höheres Ansehen genoß er, weil er zu jenem illustren Kreis von einem halben Dutzend Pennälern gehörte, die wir respektvoll >Gymnasialreisende< nannten. Sie waren wegen irgendwelcher üblen Streiche in Rössel, Rastenburg oder Osterode geschaßt worden und waren von unserem milden Chef, der solche Streiche wohl nicht allzu ernst nahm, in Gnade zur letzten Bewährungsprobe aufgenommen worden. Von Römer ging die Legende, er hätte in Rössel nächtlicherweile den Direktor des dortigen Gymnasiums durch das Fenster seines Amtszimmers zu erschießen versucht. Nun, das wäre denn doch wohl auch unserm sanften Chef ein wenig über die Hutschnur gegangen. Aber eineinhalb Jahre später war es dann so weit, daß auch unser großzügiger Direx den Römer von der Schule relegieren mußte, wegen einer Geschichte, die viel Staub aufwirbelte und die Damen in den Kaffeekränzchen sehr erregte. Der großartige Goalkeeper Römer imponierte nämlich nicht nur der männlichen, sondern auch der weiblichen Jugend. Zu seinem Unheil gehörte er zu jenen Menschen, die Erinnerungen an schöne Stunden im Bilde festzuhalten lieben. Einem Klassenkameraden, der sich im Keller seines Elternhauses eine Dunkelkammer eingerichtet hatte, vertraute er die mit einem Selbstauslöser gemachten Aufnahmen seiner Liebesstunde mit Paula Reutter, einer Lycealschülerin, zum Entwickeln und Kopieren an. Leider hatte dieser Klassenkamerad eine Schwester, die aus Bosheit oder Eifersucht nichts Eiligeres zu tun hatte, als ein Dutzend dieser intimen Fotos in Umschläge zu stecken und an die Eltern der jungen Dame, an die Direktoren des Gymnasiums und Lyceums, an Bürgermeister Hofmann und einige andere Honoratioren der Stadt zu verschicken. Damit nun mußte Ernst Römer seine Gymnasialreise um eine weitere Station bereichern. Wenn wir fortan auf Ausflügen das schöne Lied von Johann Gottfried Seidelbast und seiner am Ende der tragischen Geschichte neben ihm an einem Ast baumelnden Elisabeth sangen, schwebte mir immer Römers Bild vor Augen. Den schwersten, unersetzbaren Verlust aber erlitt durch seinen Rausschmiß unsere Bartolonia. Wer sollte Römer im Tor ersetzen?
    Man stellte den und jenen zwischen die Pfosten, aber einen Ersatz für Römer gab es einfach nicht, man konnte das Tor höchstens einem Lückenbüßer anvertrauen, und da ich weder als Stürmer noch als Läufer viel taugte, fiel die Wahl schließlich auf mich. Aber da hatten wir schon einige Klassen übersprungen, waren Sekundaner und trugen hellblaue Mützen mit silberner Paspelierung. Und da endete auch meine Torhüterkarriere, in der ich es ohnehin nur zu mittelmäßigen Leistungen gebracht hatte, mit einer Katastrophe, die mich um ein Haar auch den Verlust der Clubnadel gekostet hätte. Es geschah in Rastenburg. Das Rastenburger Gymnasium feierte irgendein Jubiläum, und unsere Bartolonia war zum Austrag eines Wettspiels eingeladen worden. Die Rastenburger waren uns überlegen, das wußten wir, aber wir hofften auf eine ehrenvolle Niederlage. Dann aber gab es ein Fest mit Damen. Unser Präses Nietzki hatte uns zwar verpflichtet, spätestens um zehn das Fest zu verlassen und schlafen zu gehen. Der Geist war willig, aber das Fleisch wieder einmal schrecklich schwach. Ich tanzte mit den hübschen Rastenburger Mädchen bis tief in die Nacht hinein, die Rastenburger Pennäler verwöhnten mich, die Primaner - aber nicht jene, die sich im Rastenburger Fußballclub aktiv beteiligten -prosteten mir fleißig zu, und leider nicht nur mit kühlen Bierchen, sondern auch mit härteren Getränken - mit dem Erfolg, daß ich am Morgen in meinem Privatquartier mit einem fürchterlichen Brummschädel erwachte. Ach was, von Erwachen war keine Rede, ich wurde wachgerüttelt und erfuhr, daß es für mich höchste Zeit sei, zum Spiel anzutreten. Der Rastenburger Sekundaner Holzmann, dessen Eltern mich aufgenommen hatten, ein ausgesprochener Windhund, den ich später als Leiter einer Tanzkapelle wiedertraf, tröstete mich liebreich und meinte, gegen mein Leiden gäbe es nur ein einziges probates und unfehlbares Mittel, nämlich zwei oder drei große Kognaks auf den nüchternen Magen zu kippen. Er war auch gleich mit der

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