Abschied und Wiedersehen
an dem ich ihr nicht wenigstens ein halbes Dutzend glühender Gedichte widmete. Und als sie mir eine lila Zopfschleife schenkte, trug ich sie fortan als Krawatte vor der Brust und hätte Herrn Westphal kaltblütig ermorden können, als er mich mit seiner näselnden Stimme fragte: »Menschenskind, was haben Sie sich da bloß um Ihren Jünglingshals geschlungen? Einen lila Schlips? Da kommt einem ja der Kaffee hoch...« Die Klasse grinste - und er schaltete sofort: »Entschuldigen Sie meine Taktlosigkeit, ich habe ja keine Ahnung davon gehabt, daß ich mit meiner Bemerkung zärtliche Gefühle in Ihrem Herzen verletzt habe.« - Natürlich wurden seine Worte mit einem brüllenden Gelächter quittiert, worauf ich dunkle Pläne spann, nicht nur ihn, sondern zuerst ihn und dann die ganze Klasse umzubringen.
Gewiß kannte ich Kätchen schon seit längerer Zeit, vom Eisläufen her und von den Schlittenfahrten, zu denen uns der Vater von Tutti Meier Kutscher und Pferd überlassen hatte. Aber da war kein Funke in mein Herz gefallen. Der sprang auf mich in dem Augenblick über, als Herr Nietzki in unserer Backsteinbasilika die Hände erhob und über uns den Segen sprach, mit dem wir Konfirmanden in die Christengemeinde aufgenommen wurden. Wir hatten kurz zuvor - die Jungen links und die Mädchen rechts vom Altar - unsere Sprüche brav aufgesagt. Kätchen vor lauter Aufregung ein bißchen stotternd; da hatte ich ihr ermutigend zugenickt, sie brachte ihren Spruch glücklich zu Ende und dankte mir mit einem sanften, schüchternen Lächeln, das ihr blasses Gesicht über dem weißen Kleidchen wunderbar verschönte. Und da funkte es. Bei mir jedenfalls. Bei ihr dauerte das ein wenig länger. -Mehr als ein Dutzend Verwandte hatten sich zu meiner Konfirmation bei uns eingefunden. In dem riesigen Eßzimmer hatte Mutter eine große Tafel gedeckt, und zum ersten Mal war Mutter damit zufrieden, daß die Wohnung wenigstens bei solch festlichen Anlässen Raum genug auch für die doppelte Anzahl von Gästen geboten hätte. Sie waren alle gekommen, Tante Elma mit ihrem Aurelius Piepus, der mit einer ganzen Batterie von selbstgebrauten Schnäpsen und Likören anrückte, denn der Sprit stand ihm in seiner Apotheke ja reichlich zur Verfügung. Tante Grete hatte ihren gelähmten Karl in Piktupönen unter guter Obhut zurückgelassen; ihm war dort eine Postagentur übertragen worden. Die große und freudige Überraschung aber war der Besuch von Onkel Walter, Tante Elmas Zwillingsbruder. Das letzte Mal hatte er uns auf seinem letzten Europa-Urlaub im Jahre 1912 zusammen mit Tante Miekchen besucht. Damals war er mit einem Phaeton und Herrn Janson als Chauffeur bei uns in Königsberg in der Ziegelstraße vorgefahren und hatte mir - unvergeßliche Erinnerung - ein goldenes Zwanzigmarkstück geschenkt, für das ich bei Jarzymbowski einen Zentner Bruchschokolade gekauft hatte. Nun, Deutsch-Ostafrika hatten wir durch den Krieg verloren, und damit war Onkel Walter auch sein Schiffsausrüstungs-Geschäft in Daressalam, seine Sisalplantagen und sein Vermögen losgeworden. Bis 1916 hatte er unter Lettow-Vorbeck mit seinen Askaris gegen die Engländer gekämpft, war in eine Falle getappt, gefangen genommen worden und erst im Jahr zuvor aus einem englischen Gefangenenlager in Ägypten entlassen worden. Tante Miekchen hatten die Engländer gleich nach Kriegsausbruch nach Ägypten verfrachtet, wo sie bis zum Kriegsende in einem Internierungslager mit den Kindern gelebt hatte. Äußerlich hatte Onkel Walter nichts von seiner strotzenden Kraft verloren, er konnte immer noch Hufeisen auseinander- und Geldstücke zwischen Daumen und Zeigefinger zusammenbiegen, und sein Lebensmut und Unternehmungsgeist waren genauso ungebrochen wie seine Körperkraft. Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen, sich im Hamburger Raum oder in Berlin eine neue Existenz zu gründen, hatte er einen französischen Capitaine kennengelernt, der als Offizier der Besatzungsmacht im Memelland stationiert war. Dieser Capitaine Maurice Bertin hatte Onkel Walter, von dessen Trinkfestigkeit tief beeindruckt, den Vorschlag gemacht, es doch einmal im Memelland zu versuchen. Und dort war Onkel Walter tatsächlich gut gelandet und hatte in Pogegen eine Zigarettenfabrik gegründet, in der er die Sorten >Askari< und >Simba< herstellte und sich damit rasch durchsetzen konnte. Mir brachte er als Konfirmationsgeschenk ein außen versilbertes und innen feuervergoldetes Zigarettenetui mit, und zur Füllung des
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