Abschied und Wiedersehen
Feuerfresser auftrat, von der kleinen Vorbühne herunter, fiel vor Onkel Walter auf die Knie, Umschlag seine Beine und brüllte beseligt und verzückt: »Bwana Simba! Bwana Simba!« Ein Haufen Leute drängte sich heran, dem Feuerfresser liefen dicke Tränen über die schwarzen Wangen, auch Onkel Walter konnte Tränen der Rührung nicht zurückhalten, denn dieser Neger war einer von den sechs Askaris, mit denen er im ostafrikanischen Busch in englische Gefangenschaft geraten war. Und Bwana Simba hieß auf Kisuaheli >Herr Löwe< und war der Name, den die auf seiner Plantage arbeitenden Mafitis Onkel Walter gegeben hatten, nachdem er eine Löwin zur Strecke gebracht, die zuvor einen alten Mann und ein Kind gerissen und weggeschleppt hatte. Seine Askaris hatten den Ehrennamen übernommen. Onkel Walter hatte uns diese Geschichte und andere Abenteuer mit Schlangen, Büffeln und Elefanten schon vor zehn Jahren erzählt, mit Variationen, die zweifellos für sein Erzählertalent sprachen, die mich aber schon als Kind am absoluten Wahrheitsgehalt dieser Geschichten zweifeln ließen. Den >Bwana Simba< zum Beispiel hatte ich ihm nie ganz abgenommen. Im Angesicht des Feuerfressers und der wahrhaft rührenden Wiedersehensszene mußte ich Onkel Walter innerlich zutiefst beschämt Abbitte leisten, je an seinen Worten gedreht und gedeutelt zu haben.
Vaters Konfirmationsgeschenk war eine große Überraschung, ein Geschenk, durch das ich mich sozusagen in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen fühlte. Er überreichte mir ein kleines Lederetui mit einem versilberten Rasierapparat, dazu ein Dutzend Klingen, einen Dachshaarpinsel und eine Stange Rasierseife. Der Aurelius Piepus, der schon wieder einige Schnäpse zuviel hinter die Binde gegossen hatte, flachste zwar, ich müßte nun täglich frischen Taubenmist auf Kinn und Oberlippe schmieren, denn für die Flaumhärchen, die mir unter der Nase sprossen, lohne sich der Apparat noch nicht. Was kümmerten mich die blöden Redensarten von dem alten, versoffenen Ekel! Obwohl es wirklich noch nicht nötig war, denn die Klinge hätte es allein geschafft, seifte ich nicht nur die Partie unterhalb der Nase, sondern auch das Kinn tüchtig ein und begann mit meiner ersten Rasur. Und - was ich später noch so oft erfahren sollte, daß bei der Rasur ein Einfall den Knoten löste, der eine Arbeit zum Stocken gebracht hatte - plötzlich kam mir eine Idee, die meinen Herzschlag für einen Augenblick stocken ließ.
Hamsuns Victoria hatte mich so stark beeindruckt, daß ich Mutters Frage, was ich mir von ihr zur Konfirmation wünsche, mit der Bitte um alle Romane, die bisher von Hamsun erschienen wären, beantwortete. Und da lagen die ersehnten Bände auf dem Tisch mit den Geschenken: Hunger, Mysterien, Pan, Unter Herbststernen, Gedämpftes Saitenspiel und Segen der Erde. Es war Herrn Stringe, dem Buchhändler in der Rastenburger Straße, tatsächlich gelungen, Mutters Bestellung zu besorgen. Eine gebundene Ausgabe von Victoria war auch dabei, denn ich besaß nur ein broschiertes Exemplar. Die Wahl war nicht schwer, ich zog die bitter-süße Liebesgeschichte zwischen Johannes und Victoria aus dem kleinen Bücherstapel und schrieb eine Widmung auf das Titelblatt:
Zur freundlichen Erinnerung an unsere gemeinsame Konfirmation!
In den Kellerräumen des Amtsgerichts war vor kurzer Zeit eine Wohnung eingerichtet worden, die ein Gefängnisbeamter namens Himmler mit seiner Familie bezogen hatte. Sein Sohn Otto besuchte die Tertia. Ich packte das Buch ein, lief zu Himmlers hinunter und konnte Otto gegen das Versprechen, ihm die nächsten drei Hausaufsätze zu schreiben, dazu bewegen, zum Bahnhof zu laufen und das Buch abzugeben. Kätchens Vater war nämlich Besitzer des Bahnhofsrestaurants. Otto Himmler kam nach einer Stunde zurück, schnaufte leicht, denn er war mit vier Stücken Cremetorte und drei Tassen Schokolade vollgestopft worden, und brachte mir ein Päckchen mit, das schön in Seidenpapier eingeschlagen und mit einem blauen Bändchen verschnürt war. Fraglos auch ein Buchgeschenk. Ich öffnete die Verschnürung in meiner Bude mit zitternden Händen. Zwei Menschen von Richard Voss! Und innen stand in einer sauberen Lycealschrift ebenfalls eine Widmung: Zur Erinnerung an unsere Einsegnung! Victoria dort, Zwei Menschen hier, zwei Liebesgeschichten zwar, die mit Tod und Entsagung kein glückliches Ende nehmen - aber was galt das schon! Die Hauptsache blieb doch, daß es zwei Liebesgeschichten waren, die
Weitere Kostenlose Bücher