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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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wir einander zugedacht hatten, und ich hoffte, daß Kätchen meinem Buch die gleiche zärtliche Deutung geben würde, die ich ihrem gab, als ich - frisch rasiert und sehnsuchtsvoll - meine Lippen auf ihre Schriftzüge preßte. -Damit begann die Zeit der Stadtbummel, der Sonntag-Vormittags-Promenaden rund um den Marktplatz, des täglichen Flanierens auf dem Bahnhofsvorplatz zum Vier-Uhr- und zum Acht-Uhrzug, wobei mir Paul Krause und Alfred Klahr Gesellschaft leisteten, denn auch sie hatten Feuer gefangen, aber, weniger glücklich als ich, für das gleiche Mädchen, Elsbeth Kempa, die mit Kätchen zusammen die letzte Lycealklasse besuchte. Da begegneten sie uns, wir schwenkten die Mützen zum Gruß, sie zogen zu dritt oder zu viert an uns vorüber, kicherten verschämt, bekamen rote Köpfe und wagten kaum, uns einen Blick zuzuwerfen. Nein, mehr war nicht drin. Aber schon der Anblick unserer Flammen ließ unsere Herzen höher schlagen. Mich zog es täglich mit magischer Gewalt zum Bahnhof, auch außerhalb der Ankunftszeiten der Züge. Manchmal wurde das letzte Fenster in dem roten Bahnhofsgebäude über dem Restaurant geöffnet, Kätchen blickte verträumt über die Gleise in die Ferne, und über ihrem aufgesteckten kastanienbraunen Haar flatterte eine große weiße oder hellblaue Schleife. Wenn ich heraufgrüßte, nickte sie mir verlegen zu und verschwand rasch vom Fenster, um ihr errötendes Gesicht hinter der Gardine zu verbergen. Nie wieder habe ich ein Mädchen kennengelernt, das so wie Kätchen erröten konnte. Es war, als verteile sich eine Blutwelle blitzschnell vom Gesicht über den Hals zu den Armen und über die ganze Haut, ich glaube, sie errötete bis zu den Knöcheln hinab, aber das will ich nicht beschwören, denn ich habe sie nie strumpflos gesehen.
    An das Restaurant schloß sich ein Garten an, der in der warmen Jahreszeit von den Gästen gern besucht wurde. Und wenn die Sonne allzu heiß niederbrannte, fand man in einer Laubenkolonnade am Ende des Gartens Schatten und Kühlung. In diesem ungewöhnlich warmen September fanden wir uns in den Lauben gern zusammen, um ein blondes Bierchen zu trinken oder ein Fruchteis zu löffeln, ungestört, denn unsere Pauker verkehrten hier nicht; sie bevorzugten die Weinstuben von Freinatis oder den >Bartensteiner Hof<. Die Konfirmation hatte uns allen reichliche Geldgeschenke eingebracht, und da das Geld von Tag zu Tag an Wert verlor, galt es, die Scheine rasch umzusetzen.
    An solch einem warmen Septembertag machte ich mich wieder einmal auf den Weg zum Bahnhof, aber zu meiner schmerzlichen Enttäuschung blieb Kätchens Fenster geschlossen. In der Absicht, mir ein Himbeer-Soda zu leisten, schlenderte ich zum Garten, der menschenleer in der Sonne lag - und dann setzte mein Pulsschlag aus, und die Knie füllten sich mit Blei, denn in der schattigen Kolonnade saß Kätchen, einen Schulatlas vor sich auf dem Tisch und einen Zeichenblock auf den Knien, eifrig darum bemüht, Westeuropa in seinen Umrissen auf das Papier zu bannen. Ich betrachtete das Werk stumm, nicht aus Ergriffenheit, sondern weil mir ein dicker Kloß im Halse steckte.
    »Warum paust du nicht einfach durch?« fragte ich schließlich, nur um etwas zu sagen und um von ihr nicht für einen Tölpel gehalten zu werden.
    »Das wäre doch nicht ehrlich«, sagte sie, und in ihre roten Wangen kehrte wieder die natürliche Farbe zurück, »und außerdem würde es wenig nützen, wenn wir morgen an der Tafel den Umriß von Europa nach dem Gedächtnis auf zeichnen sollen...«
    »Dann allerdings...« murmelte ich.
    »Aber gut, daß du mich hier angetroffen hast«, sagte sie, »ich wollte mich schon längst bei dir für das Buch bedanken, das du mir geschenkt hast...«
    »Und ich mich bei dir für deins. Ich habe es gleich am nächsten Tag gelesen.«
    »Und ich habe mit Victoria noch am gleichen Abend angefangen. Da kommt der Voss mit seinen Zwei Menschen aber nicht mit. Fast habe ich mich für mein Geschenk ein bißchen geschämt...«
    »Aber nicht doch! Ein Hamsun ist es allerdings nicht...« »Oh, von dem möchte ich mehr lesen...«
    »Das kannst du gern haben, ich habe mir nämlich von meiner Mutter zur Einsegnung ein halbes Dutzend Hamsuns schenken lassen...«
    »Du liest gern, nicht wahr?«
    »Ja, sehr gern - und viel...«
    »Du sollst auch sehr gute Aufsätze schreiben...«
    »Nun ja, es geht...« sagte ich bescheiden.
    Dann vestummten wir. Kätchen klappte ihren Atlas zu, verwahrte den Bleistift in der

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