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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Nachricht ins Hotel gebracht, daß er zum Kaffee erwartet würde. Wir hatten noch eine halbe Stunde Zeit und bummelten ein wenig durch die Stadt. Er schien von Bartenstein sehr angetan zu sein, besonders vom Heilsberger Tor, über dessen Entstehungsgeschichte er gern genaue Daten erfahren hätte. Leider sah ich es mir, durch ihn darauf aufmerksam gemacht, eigentlich zum ersten Mal richtig an, denn bis dahin hatte mich der gotische Bau bedeutend weniger interessiert als die Landstreicher und Trunkenbolde, die dort zur Feststellung ihrer Personalien oder zum Ausnüchtern für einige Tage eingesperrt saßen und den Passanten durch die Gitter unflätige Bemerkungen zuriefen - besonders den Damen.
    »No ja«, sagte er begütigend, weil ich mich für meine Unwissenheit ein wenig schämte, »laß es gut sein, ich habe mir in deinem Alter den Besuch der Lemberger Museen auch für spätere Zeiten aufgehoben.«
    Da er an alten Gebäuden und Überbleibseln aus der Vergangenheit Gefallen zu haben schien, führte ich ihn auf einem kleinen Umweg auch noch zu den anderen Sehenswürdigkeiten, zum Barto und der Guste Balde und zu dem alten Opfertisch aus der Heidenzeit. Die steinernen Pruzzengötter und die Steinplatte, auf der man die Vertiefung für den Kopf des Opfers und die Rinnen, in denen das Blut abgeflossen war, noch deutlich sehen konnte, schienen ihn sehr zu beeindrucken...
    »Weißt du«, sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn, denn es war ein glühender Augusttag, »als ich ein Bub war, so in deinem Alter, da wünschte ich mir nichts sehnlicher, als einmal Missionar zu werden und in Samoa und auf den Fidschi-Inseln die Heiden zum Christentum zu bekehren. Aber ich war wohl nie ein großer Held, und bei dem Gedanken, eines Tages vielleicht im Kochtopf oder auf solch einem Steintisch zu landen, bin ich doch lieber daheim geblieben und Professor geworden.«
    Ich meinte, daß er sich deswegen nicht zu schämen brauche, denn auf dieses Risiko hätte ich mich auch nicht eingelassen - und das schien ihn sehr zu trösten. Weil er aber von diesen Steinen gern ein Bild nach Wien mitnehmen wollte, um es seinen Freunden und Studenten zu zeigen, führte ich ihn quer über die Straße zum Fotografen Petri, bei dem es nicht nur Ansichtskarten von den Steinen, sondern auch vom Heilsberger Tor und von der evangelischen Kirche zu kaufen gab, von der ich zum ersten Mal hörte, daß es sich bei ihr um eine spätgotische Backstein-Basilika handle, die von Kunsthistorikern für ein bedeutendes Bauwerk gehalten werde. Daraufhin beschloß ich, mir die Kirche auch einmal genauer anzusehen; aber ich besaß wohl noch nicht das richtige Auge für die Backsteingotik, denn ich fand nichts Aufregendes dabei.
    Mutter hatte den Kaffeetisch gedeckt, als ob Pfingsten-Erst-Feiertag sei. Auf ihrer schönsten Strickdecke stand das Berliner Porzellan, das Onkel Benjamin den Eltern zur Hochzeit geschenkt hatte, und auf einer Platte häufte sich ein ganzer Berg frisch gebackener knuspriger Waffeln. Die gab es zwar oft, denn das Rezept - auf dem Waffeleisen in erhabenen Buchstaben zu lesen - war sehr einfach, man brauchte dazu nur Mehl, Wasser und ein Ei. Aber frisch vom Eisen schmeckten sie genauso gut wie der beste Sandkuchen.
    Wenn es Vater bei der ersten Begegnung mit dem Herrn, den Lotte ins Haus geführt hatte, auch ein wenig die Stimme verschlug, so ließ er sich den kleinen Schreck, seine Tochter an einen Gartenzwerg abgeben zu müssen, nicht anmerken, und es dauerte keine halbe Stunde, bis ihn der gescheite, weltgewandte und humorvolle Mann so für sich eingenommen hatte, daß er Lotte zu ihrer Wahl nur beglückwünschen konnte. Zudem kam, daß der Gast zwar Theologe und Lizentiat, vor allem aber Historiker war und sich aus Neigung und Herkommen mit slawischer und altslawischer Kirchengeschichte beschäftigte. Und Vaters Hochachtung wuchs noch, als er feststellte, daß der Professor das Polnische genauso gut beherrschte wie er selber, und das Russische dreimal besser.
    Am gleichen Nachmittag bat Herr Völcker Vater um eine Unterredung unter vier Augen, legte ihm seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse dar - die Vater sehr beeindruckten - und bat ihn um Lottes Hand. Die zwanzigtausend Mark, die Lotte von ihrer Mutter geerbt hatte, waren durch Zins und Zinseszins in den verflossenen zwanzig Jahren fast ums Doppelte angewachsen, ein schönes Vermögen, wenn die anschleichende Inflation an dem Erbe nicht bereits kräftig genagt hätte.

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