Abschied und Wiedersehen
- tack tack tack - da spielt der Theodor - tack tack tack - seiner Freundin der Luise - tack tack tack - die schönsten Lieder vor - tack tack tack - tack tack tack...
Die erste Tanzstunde fand allerdings ohne Musik statt. Da saßen sich die am Kurs teilnehmenden Damen und Herren, durch die Breite des Saales getrennt, auf zwei Stuhlreihen gegenüber, und Frau Aderjahn lehrte uns, was gutes Benehmen sei. Daß man zum Beispiel nicht wie ein wildgewordener Pavian durch den Saal stürzen dürfe, wenn man eine Dame zum Tanz aufzufordern beabsichtige, sondern daß man sich ihr gemessenen Schrittes zu nähern habe, den rechten Fuß beim letzten Schritt seitlich ausstellen, den linken Fuß heranziehen und sich dabei mit locker herabhängenden Armen so tief verbeugen müsse, daß die aufgeforderte Dame die Kragenknöpfe am Nacken sehen könne. Auf das Sichtbarmachen des hinteren Kragenknopfes schien Frau Aderjahn großen Wert zu legen, denn immer wieder ertönte ihr Kommando: »Tiefer, meine Herren, tiefer! Denken Sie an die Kragenknöpfe!« - Auch durchquerten wir ihrer Meinung nach den Saal nicht gemessen genug.
»Und was ist, wenn mir einer meine Dame wegschnappt?« fragte Kuno Brockmann, dem die gemessene Gangart gar nicht in den Kram paßte.
»Dann, Herr... wie war doch gleich der werte Name?«
»Brockmann!«
»Dann, Herr Brockmann, fordern Sie die daneben sitzende Dame auf oder eine andere, die noch frei ist.« »Ich tanz doch nicht mit jeder Wachtel...« knurrte der Kuno in sich hinein. Jedenfalls war es ziemlich verwirrend, worauf ein Kavalier nicht alles zu achten hatte, wenn er sich eines untadeligen Betragens befleißigen wollte. Merkwürdig übrigens, daß Frau Aderjahn die Rezepte für den feinen Benimm fast ausschließlich an die >Herren< verteilte, als setze sie voraus, daß gutes Benehmen den >Damen< in die Wiege mitgegeben worden sei.
Der Unterricht zog sich, in Abständen von vierzehn Tagen, über ein halbes Jahr hin. Als dann endlich Kantor Bolutus in Aktion trat und einen One-step intonierte, ließ Frau Aderjahn zunächst die Herren und später die Damen in Reihe antreten, um sie, ihnen beispielhaft anmutig voranschreitend, zunächst im Alleingang den rhythmischen Gleitschritt üben zu lassen. Dann erst durften wir es mit den Damen zusammen wagen. Mit der gemessenen Annäherung an die Dame der Wahl hätte es nie geklappt, wenn wir uns vorher nicht auf unsere Mädchen geeinigt hätten. Manche kamen dabei nicht besonders gut weg, wie etwa der kleine Bachler, denn die Tanzdame, die für ihn übrigblieb, überragte ihn um Kopfeslänge. Ich konnte mich, ohne schnelle Konkurrenz befürchten zu müssen, meinem Kätchen gemessenen Schrittes nähern, um sie mit einer tiefen Verbeugung und locker hängenden Armen zum ersten Tanzversuch aufzufordern. Leider ging Frau Aderjahn sofort dazwischen, wenn einer seine Dame allzu ungestüm und eng ans Herz preßte. Dann hieß es sofort: »Distance, meine Herren, Distance! Die Hand des Herrn geht nicht um, sondern bei leicht gebeugtem Arm gerade an die Hüfte der Dame! Und nein, Herr Bachler, oh nein! Man umklammert die Dame nicht! Und schon gar nicht dort, wo Sie sie umklammern! « Lieber Gott, wo sollte der kleine Bachler seine Dame auch umklammern, wenn er ihr gerade bis zur Brust reichte...?
Kätchen war eine gute Tänzerin, und wenn ich mich beim Walzer zunächst ein wenig tolpatschig anstellte, so verdankte ich es ihr, daß ich sie bald herumschwenken konnte, ohne ihr ständig auf die Füße zu treten. Mit Alfred Klahr oder Paulchen Krause übten wir den Walzer und Tango zu Hause auch zu zweit oder mit einem Stuhl im Arm unermüdlich. Bei der sogenannten >Mitteltanzstunde<, zwei Wochen vor Weihnachten, wagten wir schon den kühnen Versuch, unsere Damen im Walzer links herumschwenken. Frau Aderjahn schien mit' ihren Erfolgen sehr zufrieden zu sein.
Weniger zufrieden war Vater mit dem Weihnachtszeugnis, das ich heimbrachte. Unter >Bemerkungen< stand der betrübliche Satz: »Wenn sich seine Leistungen, vornehmlich in Mathematik, aber auch in Latein und Griechisch nicht bessern, ist die Versetzung gefährdet.« - Es beeindruckte Vater nicht im geringsten, daß ich ihm erzählen konnte, daß sich der gleiche Satz in den Zeugnissen von einem guten halben Dutzend meiner Klassenkameraden befinde. Er nahm mir das Versprechen ab, eisern zu büffeln, um das Klassenziel doch noch zu erreichen. Aber es waren einfach zu viele Nebendinge, die meine Zeit in Anspruch nahmen.
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