Abschied und Wiedersehen
Federtasche und schlug auch das Vorsatzblatt über den Zeichenblock...
»Willst du etwa schon gehen?«
»Ich werde wohl müssen - auch wenn mein Vater heute nicht im Geschäft ist. Er mußte nämlich nach Königsberg zum Einkäufen fahren . ..«
Der Papa, der als recht streng galt, war also in Königsberg. - Das sagte sie doch nicht von ungefähr...
»Kannst du nicht wenigstens noch ein kleines Weilchen bleiben? Ich habe doch so lange gewartet und gehofft, dir einmal zu begegnen...«
Sie zögerte ein wenig: »Wenn meine Mama es erlaubt...« sagte sie schließlich und verschwand im Haus. Ich blieb für eine Weile allein unter dem schattigen Laubdach der Kolonnade zurück. Über mir gurrte ein Taubenpärchen. Der Tauber schien sehr aufgeregt zu sein. Die Sonne warf zitternde Lichtkringel auf den Bretterboden. Im nahen Verladebahnhof Wurden schwere Stückgüter zu den Waggons gerollt. Hin und wieder war die Pfeife des Lademeisters zu hören, dem Signal folgte das Anrucken der Lokomotive und das polternde Geräusch aufeinanderstoßender Puffer. Nun, wenn die Mama nicht so streng wie der Vater war, durfte ich wohl hoffen...
Und sie kam, mit zwei Gläsern Himbeer-Soda in den Händen, die Gläser tauig beschlagen.
»Heiß heute...« sagte Kätchen und setzte ein Glas vor mir auf den Tisch.
»Genau mit der Absicht, so etwas zu trinken, bin ich hergekommen...«
»Na, dann freut es mich, das Richtige erwischt zu haben.« »Und was sagte deine Mama?«
»Sie wollte mir Kaffee und Kuchen mitgeben, aber ich dachte mir gleich, daß dir etwas Frisches lieber sein würde.«
Ich tat einen durstigen Zug. Kätchen nippte an ihrem Glas und setzte es ab. Ihre Hand blieb auf dem Tisch liegen. Am Ringfinger funkelte ein Karneol, so neu, daß ich vermutete, sie habe ihn zur Konfirmation bekommen.
»Ach, Kätchen«, sagte ich mit einer Trockenheit im Hals, die der kühle Trank nicht zu beseitigen vermochte. Über uns gurrten noch immer die Tauben. Meine Hand tastete sich zu ihrer hin. Die Finger krochen ganz vorsichtig wie kleine Beine zu ihren Fingerspitzen hin... hatten sie fast erreicht... und gerade wollte ich stammeln, wie unsagbar verliebt ich in sie sei -
Da fiel etwas von oben durch das Laubdach herunter, zerplatzte warm und grau auf meinem Handrücken, und da hatte mir doch dieser gottverdammte Tauber vor lauter Aufregung, zum Ziel bei seiner Taube zu kommen, glatt auf die Hand gesch...! Einen weniger geeigneten Moment hätte sich das Biest wahrhaftig nicht aussuchen können. Kätchen erstarrte zuerst. Dann begann sie zu kichern. Dann pruschte sie heraus. Und dann dauerte es fünf Minuten, bis sie sich ganz beruhigt hatte. Zeit für mich, um im Waschraum zu verschwinden und die graue Schweinerei zu beseitigen. Also bitte, wenn so etwas auf dem Markus-Platz in Venedig passiert wäre, wo die Tauben zu Tausenden herumflattern, oder vor der Theatinerkirche in München, wo man die Sandsteinfiguren vor den Tauben und ihrem Dreck mit Drahtgittern schützen muß, aber nein, das passierte mir hier, wo genau zwei von diesen Biestern über unseren Köpfen gurrten. Ich fühlte mich gedemütigt und bis auf die Knochen blamiert. Aber Kätchen nahm die Sache ganz gelassen: »Besser auf die Hand als auf den Anzug«, meinte sie tröstend, »das gibt nämlich Flecken, die nicht mehr rausgehen. Das ist neulich dem Herrn Petermann passiert, als er hier stolz mit einem neuen blauen Anzug aufkreuzte. Der hat vor Wut fast geheult. Da lach ich doch lieber, nicht?«
Herr Petermann war Stammgast in der Bahnhofswirtschaft, weil er bei der Eisenbahn zu tun hatte. Ein kleiner, eleganter Mann, Junggeselle und auf den >Junggesellen< abonniert, eine Zeitschrift, die als höchst frivol galt. Das Abonnement stempelte Herrn Petermann als Lustmolch ab, aber das war er sicherlich nicht, wenn er sich auch bemühte, als Ladykiller zu erscheinen. Er war ein ausgekochter Knobler und leidenschaftlicher Wetter und starb als Opfer seiner Wettleidenschaft an der Theke des Bahnhofsrestaurants, nachdem er eine Flasche Kognak bis auf einen winzigen Rest geleert hatte. Den letzten kleinen Schluck schaffte er nicht mehr.
Das Geständnis meiner Liebe hatte mir der Tauber oder die Taubendame gründlich vermasselt. Aber ich besaß ja die sechs Hamsun-Bände, und über die Literatur hielt ich die Verbindung zu Kätchen aufrecht. Und sie fand immer wieder Gelegenheit, meine Bitten um ein Stelldichein im Schützenpark oder am Allé-Ufer zu erhören. Ihre Freundinnen Suschen
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