Abschied und Wiedersehen
Abgesehen davon, daß ich die Liebe täglich in neuen Versen besang, hatte ich, von Max Halbes Jugend und Wedekinds Frühlingserwachen inspiriert, bereits zwei Akte einer Schülertragödie geschrieben, deren Hauptheld fraglos und unverkennbar jener Johann Gottlieb Seidelbast war, der neben seiner Elisabeth so tragisch an einem Baum endete. Kätchen war von meinem Drama nicht so recht begeistert, nicht etwa, weil sie an meiner dramatischen Begabung zweifelte - sie fürchtete, mit Elisabeth identifiziert zu werden, und ich mußte ihr ehrenwörtlich versichern, das Drama keinesfalls dem Königsberger Schauspielhaus zur Uraufführung zu überlassen. Mit diesem ehrenwörtlichen Versprechen ging mir allerdings der Schwung für den vierten und fünften Akt des Dramas verloren. - Das Fotografieren hatte ich auch nicht aufgesteckt, denn es war fast meine einzige Geldquelle; neuerdings arbeitete ich mit Gaslichtpapieren, die eine bedeutend kürzere Belichtungszeit erlaubten. - Da Theaterbesuche ausfielen, packte mich wieder meine alte Leseleidenschaft. Herr Stringe, den zukünftigen Kunden einkalkulierend, gestattete mir, nicht nur Antiquaria, sondern auch Neuerscheinungen stapelweise nach Hause zu schleppen und darin zu schmökern. Auch Herr Schott mit seinem Orchester nahm meine Zeit in Anspruch. Ein harter Winter schließlich, der uns vom November bis tief in den März hinein auf dem Oberteich und auf dem Weiher hinter dem Landgericht spiegelblankes Eis bescherte, war die letzte Ursache dafür, daß es mir unmöglich wurde, die guten Vorsätze, mit denen ich ins letzte Quartal gegangen war, auch zu halten.
Inzwischen aber steuerten wir im Tanzkurs dem Abschlußball entgegen. Frau Aderjahn hatte uns nicht nur gesellschaftlichen Schliff, sondern auch den graziösen Prinzeß-Feodora-Walzer, den Foxtrott, ein zierliches Menuett und die Quadrille à la cour beigebracht, von Kantor Bolutus musikalisch unterstützt, der sich nach dringenden Ermahnungen und Verwarnungen der Kirchenbehörde seit einigen Wochen eines enthaltsamen Lebens befleißigte und stets nüchtern oder fast nüchtern zu den Tanzstunden erschien. Sein Spiel allerdings war lange nicht mehr so feurig beschwingt wie früher, und die mit dem Knöchel an den Klavierdeckel geschlagenen Zwischentakte klangen ausgesprochen lustlos. Zum Abschlußball brachte Frau Aderjahn ihre Hauskapelle mit. Die jungen Damen waren mit der Unterstützung ihrer Mütter tagelang damit beschäftigt, den Rathaussaal festlich zu schmücken. Ein Büfett wurde erstellt, auf dem es eine dünne Bowle und Kuchen in gewaltigen Mengen gab. Und während die Herren beim Gärtner die Bestellung für ein Blumenbukett abgaben, stickten die Damen ihre Namen mit Goldfäden auf wunderhübsche Seidenschleifen, um sie uns bei der Eröffnung des Balles an die Brust zu heften. Ich hatte die Ehre, die Polonaise mit Kätchen zu eröffnen und später die Damenrede zu halten, während Kätchen als Vertreterin der am Kurs teilnehmenden Damen eine witzige Ansprache an die Herren hielt. Sie bekam von den Damen starken Applaus, als sie bemerkte, da Männer von ihren Frauen stets als von den besseren Hälften sprächen, könne logischerweise an der anderen Hälfte nicht allzu viel dran sein. -
Während die wenigen zu dem Ball erschienenen Väter im Nebenraum Skat spielten und in heimlich mitgebrachten Flaschen stärkeren Getränken als dem Dünnbier zusprachen, das an der Theke ausgeschenkt wurde, hielten die Mütter im Saal bei Kaffee und Kuchen eisern die Stellung und beobachteten, was im Saal vorging, mit scharfen Augen. Aber trotz der scharfen Bewachung gelang es manchem von uns, seine Dame für ein paar kurze Minuten aus dem Saal an die frische Luft zu führen. Rathaus und Kirche trennten nur wenige Schritte, und zum ersten Mal bekam ich einen tiefen Eindruck von der Backsteingotik und eine große Hochachtung für die alten Baumeister, die zur Stützung der hohen Gewölbe ihrer Kathedralen und Basiliken so viele Strebepfeiler in die Umfassungsmauern einbauen und an sie herankleben mußten, daß es für uns die herrlichsten Knutschecken gab.
Die Quittung für die erwähnten >Nebendinge< kam zu Ostern, als Direktor Kröhnert, mit der Sexta beginnend, die Namen jener Schüler verlas, die in die nächsthöhere Klasse aufrücken durften, und leider die Namen derjenigen .nicht verschwieg, die das Ziel nicht erreicht hatten. Die kalte Dusche traf sechs von uns, und es tröstete mich ein wenig, daß das Geschick Alfred
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