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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Klahr, Kurt Reske und mich nicht auseinanderriß. - Vielleicht hatte Vater sich auf das Ereignis durch die Bemerkung im Weihnachtszeugnis schon innerlich vorbereitet, er machte zwar ein finsteres Gesicht, aber der erwartete Krach blieb aus. Außerdem trug der österliche Schweineschinken, der Mutter besonders knusprig geraten war, viel zur Hebung seines Gemütszustandes bei. Ich heuchelte tiefe Zerknirschung und benahm mich acht Tage lang so mustergültig, daß er mir schließlich sogar gestattete, eine Einladung von Onkel Walter anzunehmen und den Rest der Ferien in Pogegen zu verbringen.
    Ich setzte mich mit hochgeschraubten Erwartungen in die Bahn. Onkel Walter holte mich in Tilsit auf der anderen Seite der Memelbrücke mit einem Auto ab, das ihm sein französischer Freund und Gönner, Capitaine Bertin, mit seinem Chauffeur zur Verfügung gestellt hatte. Das Memelland stand noch immer unter französischem Protektorat, und politisch ging es dort ziemlich unruhig zu, da die Litauer das Memelland ihrem jungen Staat angliedern wollten. Um so entschlossener waren die deutschen Bewohner, diesen Anschluß unter allen Umständen zu verhindern. Aber von diesen Auseinandersetzungen merkte ich wenig. Daß man in der reichen Memelniederung immer aus dem Vollen gelebt hatte, das wußte ich aus Großmutters Erzählungen, die ja aus der Heydekrüger Gegend stammte und von Hochzeiten und Begräbnissen, bei denen halbe Bauerngüter versoffen worden waren, abenteuerliche Geschichten zu berichten wußte. Um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts war es die Geistlichkeit leid geworden, ihre Predigten am Sonntag vor einer zum größten Teil betrunkenen Gemeinde zu halten. Es war ein scharfes Verbot ergangen, alkoholische Getränke vor dem Kirchgang zu sich zu nehmen, und ebenso war es allen Gastwirten streng verboten, vor dem Kirchgang Schnaps an Personen beiderlei Geschlechts auszuschenken, denn die Frauen standen im Wirtshaus hinter den Männern nicht zurück. Aber die Damen wußten sich zu helfen. Hoffmannstropfen gab es in jeder Apotheke zu kaufen, und ein halbes Fläschchen davon auf Würfelzucker geträufelt gab Ätherräusche, die fast noch umwerfender als ein solider Schnapsrausch waren. Der Äthergeruch gehörte dort zur Landschaft wie der Knoblauchduft zum Balkan. Auch Großmutter ließ das Fläschchen mit Hoffmannstropfen in ihrer Kommodenschublade nie leer werden. Natürlich nahm sie die Tropfen gegen ihr Magenleiden...
    Ja, es war ein fröhliches Land, es war so fröhlich, daß gegen diesen Frohsinn von seiten der Behörde eingeschritten wurde, da nicht nur bei Hochzeiten, Taufen, Geburtstagsfeiern und christlichen Festen, sondern sogar bei Begräbnissen gesoffen und getanzt wurde. Das ging nun entschieden zu weit. So wurden die Landgendarmen beauftragt, zur Anzeige zu bringen, wann immer sie ein Tanzvergnügen in einem Trauerhaus entdeckten. So kam es, daß der Gendarm dem Amtsrichter Jonat in Heydekrug Meldung erstattete, daß beim Kätner Jons Keistuttis getanzt worden sei, während der Sarg der Schwiegermutter noch im Zimmer stand. Der Amtsrichter Jonat kannte nicht nur den Keistuttis, den er einmal wegen Wildfrevel und einmal wegen Felddiebstahl hinter Gitter gehängt hatte, er kannte auch dessen Häuslichkeit genau. Er lud also den Keistuttis vor und sagte: »Aber Männchen, während der Sarg mit der toten Schwiegermutter noch im Zimmer stand...? Wie war denn das möglich? Ich kenn deine Kate doch genau, da muß man doch das Fenster aufmachen, wenn man sich die Jacke anziehen will...« »Achottchen, Herr Rat«, antwortete der Keistuttis, »erst wollt es ja auch mit dem Tanzen partuh nich jehen, aber wie wir denn den Sarch hochkant gestellt hatten...« Auf der Fahrt nach Pogegen machten wir in Piktupönen Rast, wo der gelähmte Onkel Karl die Postagentur bekommen hatte. Tante Grete, Mutters Schwester, war munter und quicklebendig wie eh und je und schien bis zum Bauch im Hafer zu stehen, denn sie hatte seit der letzten Begegnung mindestens fünfzig Pfund raufgepackt. Sie war rund wie eine Kugel. Eigentlich wollten wir nur guten Tag sagen, aber das kam überhaupt nicht in Frage, daß wir ungefrühstückt weiterfuhren. Im Schalterraum, wo Onkel Karl die Postkunden vom Rollstuhl aus abfertigte, wurde der Tisch gedeckt, und dann wurde aufgefahren, Schinken, Blutwurst, Sülze, Gänseklein, Speck, grobe und feine Leberwurst und ein Keil von einem Tilsiter Käse, der gut und gern drei Kilo wog. Ich hatte das Gefühl, ins

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