Abschied und Wiedersehen
Schlaraffenland geraten zu sein. Meinen Wunsch nach einem Stück Brot tat Tante Grete mit der Bemerkung ab, Brot sei aus Mehl gebacken und davon bekäme man nichts als Blähungen. Sie säbelte vom Tilsiter eine daumendicke Scheibe ab, verteilte einen Klumpen Butter darüber und legte mir den Käse statt des Brotes auf den Teller. Und zum Befeuchten der Zunge schenkte sie fleißig Kornschnaps in die Spitzgläser. Onkel Karl rollte auf seinem Stuhl mit den Gummirädern zwischen Schalter und Tisch hin und her, bekam rote Bäckchen und wurde mit jedem Schnaps vergnügter. Nur das Zittern seiner Hände verstärkte sich von Schnaps zu Schnaps. Um keinen Tropfen zu verschütten, hatte er eine Spezialtechnik entwickelt; er legte sich sein Taschentuch um den Hals, faßte mit der rechten Hand zugleich mit einem Zipfel des Tuches sein Glas und zog mit der linken Hand den andern Zipfel nach vorn. Mit diesem einfachen Trick brachte er das Glas zügig an die Lippen. Er wollte uns überreden, zu einem Skat dazubleiben, aber davor bewahrte uns der Chauffeur, der seinem Capitaine um Punkt zwölf Uhr wieder zur Verfügung stehen mußte. Zu meinem Glück, denn die ungewohnten Fettigkeiten und der ungewohnte Schnaps standen mir bis zum Halse, und ich hatte meine liebe Not, das Genossene auf der kurzen Fahrt nach Pogegen in mir zu behalten. Onkel Walter sah mir an, daß es mir nicht besonders gut ging: »Wenn du kotzen mußt, kotz nicht in den Wagen!« sagte er besorgt. »Lieber Gott«, stöhnte ich, »wird hier immer so entsetzlich gesoffen und gefressen?«
»Nicht immer, aber meistens«, sagte Onkel Walter, »ich habe mich nach der ägyptischen Lagerkost auch erst daran gewöhnen müssen. Aber das war nur ein kleiner Vorgeschmack. Am Donnerstag sind wir zu einer Geburtstagsfeiereingeladen. Bei Pösches. Er wird fünfzig. Ihm gehört hier ein Gut und eine Ziegelei. Reiche Leute. Da wirst du was erleben. Da geht die Sauferei am frühen Morgen los und endet, wenn der Pösche dabei nicht stirbt, so um Pfingsten herum...«
Onkel Walter wohnte ein wenig außerhalb des Ortes an der Straße nach Stonischken in einem ansehnlichen Haus, das dem Viehhändler Isakeit gehörte. Herr Isakeit hatte ihm nicht nur die Wohnung, sondern auch ein Stallgebäude vermietet, in dem Onkel Walter seine Zigarettenfabrik betrieb. Ich hatte mir die Fabrik etwas orientalischer und pompöser vorgestellt. Auf einer uralten Maschine, die ihm sein Freund Bertin in Frankreich besorgt hatte, wurde die mundstücklose Marke >Askari< hergestellt, während die teurere >Simba<, eine Zigarette mit Goldmundstück, von zehn Frauen mit der Hand gestopft wurde. Da es Onkel Walter nicht möglich gewesen war, eine Verpackungsmaschine aufzutreiben, verkaufte er seine Zigaretten fast ausschließlich an Gastwirte, die sie in Pappkartons in Posten zu 500 Stück bezogen. Das Geschäft ging nicht schlecht, aber auch nicht so gut, daß er von der Zigarettenfabrik allein hätte leben können. So handelte er nebenbei mit Landmaschinen, Sägegattern und Stahlwaren und betätigte sich mit gutem Gewinn auch noch als Häuser- und Grundstücksmakler.
Die Hauswirtschaft besorgte ihm eine ältere Witwe, Frau Wilhelmine Jendrosch, deren Mann schon einige Jahre vor dem Krieg auf dem Feld von einem Blitz erschlagen worden war. Nach Tante Miekchen wagte ich nicht zu fragen. Aber als Frau Jendrosch, nachdem sie uns einen starken Kaffee vorgesetzt hatte, wieder in der Küche verschwunden war, sagte Onkel Walter, der meinen Blick auf Frau Jendroschs gewaltigen Hintern bemerkt haben mochte: »Ich hätte mir auch lieber was Jüngeres ins Haus genommen, aber solange die Scheidung läuft, kann ich mir etwas Knuspriges leider nicht leisten. Du verstehst...!« Er zwinkerte mir zu - und ich zwinkerte, langsam in die manchmal doch recht komplizierte und verwirrende Welt der Erwachsenen hineinschmeckend, zurück.
Wir waren in den nächsten Tagen viel unterwegs. Seine Geschäfte führten Onkel Walter bis nach Jugnaten hinauf, und einmal sogar nach Laugszargen und von dort über die litauische Grenze nach Tauroggen, wo wir uns die Kehlen mit Wodka anfeuchteten, der in kleinen Flaschen auf den Tisch kam, von denen jede drei doppelstöckige Wässerchen faßte. Wir benutzten zu den Fahrten einen leichten Einspänner, der Onkel Walter gehörte. Den lammfrommen Wallach >Pinkas< stellte ihm Herr Isakeit gegen Erstattung der Futterkosten und ein geringes Entgelt zur Verfügung. Wohin wir auch kamen, Onkel Walter war
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