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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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im Hyperion zu lesen begonnen... Und da wollte ich weiterlesen. Und dann war doch noch so vieles, was mich erwartete. Ich weiß nicht, ob ich noch lange machen werde, aber solange die Augen und die Hände mich nicht im Stich lassen, freu ich mich auf jeden neuen Tag.«

    Es muß eine richtige Alkoholvergiftung gewesen sein, mit der man mich damals an Herrn Pösches Geburtstag nach Piktupönen schaffte und in der Postagentur ins Bett steckte. Noch in Bartenstein fragten sie mich, ob ich krank sei oder ob ich nichts zu essen bekommen hätte, und als ich erzählte, was bei Tante Grete auf den Frühstückstisch kam und daß man dort den Tilsiter dick mit Butter bestrich und fürs Brot aß, da schluckte Vater schwer an seinem Speichel und kam zu dem bündigen Schluß, daß ich mich einfach überfressen hätte. Großmutter wollte ganz genau wissen, wie es Onkel Walter, Tante Miekchen und den Kindern ginge, und um ihr nicht das Herz schwer zu machen, erzählte ich ihr, daß Tante Mieke mit den Jungen über Ostern zu ihren Eltern nach Bremen gefahren sei und daß die Witwe Jendrosch Onkel Walter und mich versorgt habe. Zum Glück nahm sie mich nicht allzu streng ins Verhör, denn sie stand noch genauso wie Mutter unter dem Schock der schrecklichen Dinge, die sich während meiner Abwesenheit sozusagen unter unserem Dach abgespielt hatten, denn schließlich bildeten Land- und Amtsgericht mit dem dazwischenliegenden Gefängnistrakt eine Einheit. Kurz nach Ostern hatten drei Strafgefangene, von denen nur einer noch etwas länger als ein Jahr abzubrummen hatte, den Aufseher unter dem Vorwand, den Kübel leeren zu müssen, in ihre Gemeinschaftszelle gelockt, hatten ihn mit ihren Holzpantinen erschlagen, waren aus dem Gefängnis entwichen und durch die Tür, durch die die Gefangenen zur Verhandlung geführt wurden, ins Amtsgerichtsgebäude gekommen und durch das Fenster neben unserem Klo in die Freiheit entsprungen. Einer von ihnen, der mit dem Mord an dem Aufseher nichts zu tun hatte, stellte sich noch in der gleichen Nacht der Polizei, einer von den Mördern wurde schon am nächsten Tag gefaßt und der dritte drei oder vier Tage später. Die beiden wurden zum Tode verurteilt und bald darauf hingerichtet.
    Daß Mutter seit dieser Nacht, sobald die Dämmerung hereinbrach, sich nicht einmal in Vaters Begleitung aufs Klo zu gehen getraute, sah sogar Vater ein. Aber ob das der eigentliche und letzte Grund war, daß er seine Rückversetzung nach Königsberg betrieb, ist zu bezweifeln. Er stand vor dem Eintritt in das siebente Jahrzehnt seines Lebens. Nach den Königsberger Hungerjahren hatte Bartenstein schließlich gehalten, was er sich von der Umsiedlung in die kleine Stadt für sein leibliches Wohlergehen versprochen hatte. Obwohl er kein Gesellschaftsmensch war, wenig Humor und keine Spur von Unterhaltungstalent besaß und solche Gaben auch nicht von anderen verlangte, vermißte er hier doch seinen Mittwoch-Stammtisch bei Amende gegenüber dem Tiergarten-Haupteingang, wo er in der Gesellschaft von einem halben Dutzend Kollegen im Winter drei Glas Grog und im Sommer fünf Tulpchen Ponarther getrunken und über die Tagesereignisse von Punkt acht Uhr bis Punkt zehn Uhr geklönt hatte. In Bartenstein fand er, wohl altersbedingt, keinen rechten Anschluß, und in der Weinstube von Freinatis gab es vielleicht noch für alteingesessene Geschäftsleute einen Schoppen Rotwein oder einen Schnaps, aber nicht für Zugereiste, die außerdem nichts zu kompensieren hatten -nicht einmal einen Witz oder eine saftige Anekdote. Da ihn der Präsident in Königsberg nur ungern hatte ziehen lassen, war er sicher, daß seiner Rückversetzung keine Hindernisse in den Weg gelegt würden.
    Ja, die Zeit des Hungers lag eine Weile hinter uns, sie lag hinter uns, obwohl die Inflation ihrem Höhepunkt entgegentrieb und auch schlechte Rechner zwang, mit Milliarden und bald darauf sogar mit Billionenbeträgen fertig zu werden. Erstaunlicherweise verkauften nicht nur Bäcker, Fleischer und Kolonialwarenhändler ihre Produkte gegen ein Geld, dessen Wert nicht nur von Tag zu Tag, sondern von Stunde zu Stunde sank, auch die Textilgeschäfte wie Nelson, Munter oder Isakowski hielten die Stücke, die sie gelegentlich hereinbekamen, nicht im Lager zurück. Im Schuhgeschäft Feuerabend kaufte Mutter mir meine ersten Halbschuhe, echtes Leder mit echten Ledersohlen, und zahlte dafür zweihundertvierzig Milliarden Mark. Wahrscheinlich wurden die Kaufleute mit der Inflation

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