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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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allem auf dem Höhepunkt der Tragödie, der Botenszene: »Nein, Mann, nein!« flehte er Ernst Schmittat an, »Sie kommen ja auf die Bühne, als ob Sie ’ne Kneipe suchen. Aber Sie haben tausend Kilometer zu Pferde hinter sich. Ihnen wackeln die Knie, verstanden? Und Sie wackeln Ihnen außerdem, weil Unglücksboten am persischen Königshof befürchten müssen, daß man ihnen die Rübe abhackt. Also - nach dem Hufgeklapper hinter der Bühne schwanken Sie zwei oder drei Schritte auf die Königin zu, ringen nach Luft, heben die Hand, als blende Sie der Glanz der Krone, sinken dann in die Knie und kriechen ihr die letzten Schritte entgegen, mit eingezogenem Genick, als spürten Sie das Henkersschwert schon im Nacken. Also los! Noch einmal von vorn: >Oh, der gesamten Erde Asiens Städte ihr! Oh persisches Gebiet...<«
    Schmittat taumelte zum zehnten oder zwölften Mal auf die Bühne, kroch mir entgegen und begann seinen Bericht zu stammeln, die Schilderung der Vernichtung der persischen Armada vor Salamis und des Großkönigs schmähliche Flucht. Ich, Königin Atossa, des Großkönigs Mutter, vernahm die Unglücksbotschaft wie gelähmt, in starrem Entsetzen, preßte die linke Hand auf das Sockenpaar, das meinen Busen füllte, hob den Blick gen Himmel, öffnete den Mund wie eine tragische Maske, stöhnte auf... »Nein, nein, nein!« stöhnte Herr Bohlmann, »Menschenskind, Sie sind doch nicht Frau Kakschies aus der Tragheimer Pulverstraße, der ein Schutzmann die Nachricht bringt, daß ihr Mann vom Gerüst gefallen ist! Sie sind Atossa, die Mutter des Königs! Die mächtigste Frau im Perserreich! Und Sie sind eine große Dame! Und große Damen greifen nicht nach ihrer Brust - so was haben die gar nicht - und sie machen keine Augen wie ein abgestochenes Kalb, und am allerwenigsten stöhnen sie! Eine Königin bewahrt vor allem Haltung! Lassen Sie Ihre Umgebung spüren, daß der Verlust der Flotte Sie genausowenig zu erschüttern vermag wie der Tod von hunderttausend Seeleuten und Soldaten. Was Sie interessiert, ist das Befinden des Königs! Denken Sie an das Bulletin Napoleons nach dem Verlust seiner Armee in Rußland: Das Befinden Sr. Majestät war nie besser. - So denkt und handelt man als König - und deshalb kriegen Völker ihre Kaiser und Könige zuweilen satt und schicken sie aufs Schafott oder in die Verbannung.«
    Dr. Stock räusperte sich scharf; sein zerschossenes Bein war für ihn kein Grund, Republikaner zu werden, und auch der Präses vom >Bund nationaler Gymnasiasten< maß Herrn Bohlmann mit düsteren Blicken. Einzig der Chef, als Platon-Verehrer mit einem vollen Becher demokratischen Öles gesalbt, ließ seinen schütteren Bart bei solchen Bemerkungen durch die Hand gleiten und konnte sein Entzücken nicht verbergen. Ich aber bemühte mich, königlich, damenhaft und hoheitsvoll zu versteinern, zu schreiten und auch im Unglück königliche Würde zu wahren.
    Alfred Klahr hielt die lange Probe eisern durch. Der schwierige Text des Chors mit den zahllosen Namen der persischen Satrapen und Heerführer wollte nicht klappen und erforderte immer neue Wiederholungen...
    »Bitte noch einmal!
Derart, Amistres, Arthaphrenes auch
Megabates und Astaspes im Feld...«
    Spät erst bemerkte Dr. Stock den blutigen Verband um Alfreds Hand, aus dem es rot auf die Bretter tropfte. »He, Klahr, was ist mit Ihnen los? Kommen Sie direkt aus Salamis oder aus Plataiai?«
    »Weder - noch, Herr Doktor, mir ist beim Holzmachen das Beil ein bißchen danebengerutscht.«
    »Waren Sie beim Arzt?«
    »Der Daumen ist noch dran...«
    »Haben Sie Schmerzen?«
    »Sind auszuhalten...«
    »Na, Sie müssen es ja wissen.«
    Als ich ihn drei Tage später abholen wollte, sagte mir seine Mutter, er fühle sich nicht so richtig wohl und hätte sich gleich nach der Schule zu Bett gelegt. Und von den Rindsrouladen zu Mittag hätte er auch nur eine Gabel voll gegessen. Mir war an ihm am Vormittag nichts Besonderes aufgefallen, außer, daß er mir sein Pausebrot überlassen hatte, hausgemachte Leberwurst zwischen zwei Scheiben Schwarzbrot. Ich hatte sie ihm mit Vergnügen abgenommen, ohne lange zu fragen, was ihn zu diesem großzügigen Angebot veranlaßte.
    »Er hat wohl ein bißchen Fieber«, sagte Frau Klahr, »und Halsschmerzen hat er auch. Was wird es schon sein? Eine kleine Verkühlung. Der Doktor Höfer hat schon vor Jahren gesagt, wir sollen ihm die Mandeln rausnehmen lassen.«
    Ich lief auf einen Sprung zu ihm hinauf. Er hatte sich unter dem

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