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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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gern jemand bei uns aufgenommen, aber den Weg zum Klo konnte man nun wirklich keinem Gast zumuten. Das Festprogramm begann am Sonnabendnachmittag mit einer Ehrung der für das Vaterland gefallenen Lehrer und Schüler des Gymnasiums. Die Aula war gerammelt voll. Ganz vorn unter den Ehrengästen saßen drei würdige Herren, die vor fünfzig Jahren in die Sexta des neugegründeten Gymnasiums eingetreten waren, hier ihr Abitur gemacht hatten und Zeugnis dafür ablegen konnten, daß das Rüstzeug, das ihnen unsere Schule für den Lebensweg mitgegeben hatte, von bester Qualität war; der eine hatte es zum Obermedizinalrat, der zweite zum Reichsbankdirektor und der dritte gar zum Landgerichtspräsidenten gebracht. Na bitte!
    Mit dem Glockenschlag drei zog Herr Folgmann, unser Hausmeister, den Vorhang hoch, der die Bühne vom Zuschauerraum trennte. Das Orchester, zweiundvierzig Mann stark, das Blech auf Hochglanz poliert, wartete in strammer Haltung auf den Dirigenten. Den Hintergrund bildete die Kulisse zu den Persern, das quadergefügte Grabmal des Darius, das Zeichenlehrer Riedel kunstvoll aus Pappe aufgetürmt hatte. Der alte Schott, der seit Stunden Blut und Wasser schwitzte, trat in einem neuen Cutaway, aber mit völlig durchgeweichtem Eckenkragen an das Dirigentenpult, hob den Taktstock und gab mit einem Hieb, als zöge er auf der Mensur seinem Gegner eine fürchterliche Quart über den Schädel, den Einsatz zum Schobbäng. Die Augen und Ohren der großen Festversammlung im Rücken spürend, schwoll ihm der Kopf furchterregend an, und seine Augen rollten wild, als stände er kurz vor einen Schlaganfall. Aber er war eine zähe Natur und entschwand, als nach dem letzten Ton des Trauermarsches herzlicher Beifall aufbrandete, als gäbe ihm der dicke Kopf wie ein Ballon Auftrieb, wie auf Wolken wandelnd von der Bühne.
    Diese betrat nun im feierlichen Gehrock mit schwarzen Seidenaufschlägen, nachdem das Orchester abgetreten war, gemessenen Schrittes unser Chef, Direktor Dr. Kröhnert. Nach der Begrüßung der Ehrengäste, unter denen sich Landrat v. Gottberg und Bürgermeister Hoffmann befanden, nach der Begrüßung der ehemaligen Schüler, Bürger und Freunde des Gymnasiums forderte er die Versammelten auf, sich zu einer Schweigeminute zum Gedenken der Toten und Gefallenen von den Plätzen zu erheben. Danach stand er sekundenlang stumm sinnend und den Blick durch den goldgefaßten Kneifer in weite Fernen gerichtet, als käme ihm die Eingebung direkt von der Akropolis oder vom Olymp herab, und setzte aus dem Gedächtnis in der Sprache des Perikies mit der berühmten Rede an, die jener vor den Bürgern Athens zu Ehren der Gefallenen des Peloponnesischen Krieges gehalten hatte. Diese Rede aus dem Jahre 448 scheint zum Repertoire von Gymnasialdirektoren gehört zu haben, denn bei der Trauerfeier für die Gefallenen des Fridericianums hatte ich sie schon aus dem Mund unseres Geheimrates vernommen. Man erzählt von Joseph Kainz, seine Stimme sei so modulationsfähig gewesen, daß er seine Zuhörer selbst beim Verlesen eines Adreßbuches zu Tränen rühren konnte. Unser Chef muß diese Gabe in hohem Grade besessen haben, denn nicht nur die Altphilologen unter seinen Zuhörern, nein, auch der Viehhändler Grudde und Drogist Ollhoff lauschten der Rede in tiefer Ergriffenheit und wischten sich die Augen, als der Chef nach Beendigung seiner Deklamation den Kneifer von der Nase nahm und sich mit dem blütenzarten Tuch, das er aus dem Gehrockärmel zog, tiefbewegt die Augen betupfte. - Das Largo von Händel, von Walter Tichauer auf dem Cello vorgetragen, setzte den weihevollen Schlußpunkt unter die Totenehrung.
    Inzwischen herrschte in dem Physiksaal hinter der Aula Hochbetrieb, denn hier warteten, zum größten Teil bereits kostümiert und geschminkt, die Akteure der Perser auf ihren Auftritt. Herr Plaumann, der sich auch bei den Theateraufführungen des Kaufmannsvereins als Maskenbildner betätigte, war gerade damit fertig geworden, den Darstellern des Greisenchores weiß wallende Bärte anzukleben. Sie drängten sich wie eine Versammlung von Weihnachtsmännern in eine Ecke des Raums. Diejenigen Darsteller, die im Orchester mitgewirkt hatten, schlüpften eiligst in ihre persischen Gewänder, und mir verpaßte
    Herr Plaumann eine eisgraue Perücke, auf der er die schwere Krone mit Nadel und Faden festzurrte. Dr. Stock versuchte Ruhe zu verbreiten, aber auch ihn hatte das Premierenfieber gepackt, er hüpfte mit seinem kurzen Bein

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