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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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alte Schott, wer nun beim Chopin und beim Beethoven die zweite Flöte blasen sollte.
    Mehr noch als Alfreds qualvolles Ende erschütterte mich der Gedanke, wie leicht er zu retten gewesen wäre. Ich wurde das Bild nicht los, wie ich ihn bei unserer letzten Begegnung fiebernd in seiner kleinen Bude angetroffen hatte, und mich quälten Schuldgefühle, aus Leichtsinn und Gedankenlosigkeit für seinen Tod mitverantwortlich zu sein. Ich hätte Alfreds Mutter wenigstens zureden sollen, den Arzt zu holen, auch hinter dem Rücken des Alten, wenn es dem um die drei oder fünf Mark ging, die der Dr. Höfer für seinen Besuch liquidiert hätte. Mich machte der Kummer richtig krank, ich bekam Fieber und Durchfall, der Magen streikte, ich verkroch mich ins Bett und heulte mich aus - und es geschah das kleine Wunder, daß sie mich in Ruhe ließen. Es muß Vater ungeheuer schwergefallen sein, mich nicht aus dem Bett zu scheuchen und notfalls am Kragen in die Schule zu schleifen. Gefühle zu zeigen war ihm ein Greuel, bei sich genauso wie bei andern. Zum Glück ahnte er nicht, daß ich fest entschlossen war, die ganze Festveranstaltung platzen zu lassen.
    Vielleicht ahnte es unser Dr. Stock, als er mein Fehlen in seiner Lateinstunde bemerkte. Er beauftragte Kurt Reske, sich auf den Weg zu machen und zu erkunden, weshalb ich zu Hause geblieben sei. Was Kurt von seinem Besuch zu berichten wußte, muß ihn sehr beunruhigt haben, denn am frühen Nachmittag stapfte er mit seinem krummen und steifen Bein in meine Bude, setzte sich zu mir aufs Bett und hörte sich ruhig an, was ich ihm zu sagen hatte. »Ihnen haben also die Reden am Grabe Ihres Freundes Klahr nicht gefallen«, stellte er schließlich fest und massierte sich das schmerzende Kniegelenk, »um ehrlich zu sein, mir auch nicht. Aber das ist wohl nicht allzu wichtig. Was dich wirklich bedrückt, mein Junge, ist das Gefühl, etwas versäumt zu haben, was deinen Freund hätte retten können. Das verstehe ich nur zu gut. Denn auch mich quält seit dem Tage, an dem er ins Krankenhaus eingeliefert wurde, der Gedanke, mich nicht genug um ihn gekümmert zu haben. Damals auf der ersten Bühnenprobe wechselte ich mit ihm wegen seiner Verletzung ein paar Worte. Vielleicht hast du sie mitbekommen. Er nahm die Sache auf die leichte Schulter - und ich auch. Dabei hätte ich es besser wissen müssen, denn am Starrkrampf sind im Feld und in den Lazaretten mehr Männer draufgegangen als an ihren Verwundungen. Nun, damals rissen Granatsplitter Stoffetzen und Dreck in die Wunden. Und hier -ein blankes Beil... Trotzdem, ich hätte darauf dringen müssen, daß er einen Arzt aufsuchte.« Er erhob sich mühsam, hüstelte scharf und fuhr mir mit der Hand durch den Scheitel: »Man versagt immer wieder - aus Trägheit, aus Gedankenlosigkeit, das ist bedrückend. Aber vielleicht lernt man daraus für die Zukunft, die Verantwortung seinen Mitmenschen gegenüber ernster zu nehmen...« Er sah mich aus seinen klugen braunen Augen sekundenlang schweigend an, nickte mir zum Abschied zu und stapfte, das Bein schwerer als sonst nachziehend, zur Tür: »Was ich noch sagen wollte, ach ja - mach dir um die Feier keine Sorgen. Sie kann natürlich nicht abgesetzt werden. Viele Gäste sind schon hier und viele unterwegs. Irgend jemand wird die Rolle der Atossa lesen - und den Maskarill im Schatz werden wir auch irgendwie über die Bühne bringen.«
    Eine knappe Stunde später saß ich neben Plaumann, der die erste Klarinette blies, im Orchester. Der alte Schott schlug wieder einmal mit dem Taktstock gleichschenklige Dreiecke in die Luft, als teile er mit einem schweren Säbel furchtbare Hiebe aus, und brüllte, während ihm der Schweiß in hellen Bächen in den Kragen lief, über das Orchester hinweg den beiden Tuba-Bläsern mit ihren riesigen Instrumenten zu: »Furzt rein, Leute, furzt rein, daß die Wände wackeln!«
    Es war die Generalprobe. Sie klappte so gut, daß Herr Bohlmann mit dem Knöchel des Mittelfingers dreimal gegen die Bühnenbretter klopfte und das Genick einzog, als mache er sich nun aufs Schlimmste gefaßt. Der nächste Tag war schulfrei, denn im Festprogramm war etwas vorgesehen, was man heute einen >Tag der offenen Tür< nennt. Die Schule stand den Vormittag über den Gästen und vornehmlich natürlich jenen offen, die ihre Bänke gedrückt hatten. Und sie waren in Scharen gekommen. Die Hotels waren überfüllt, die meisten Gäste hatten in Privatquartieren Unterkunft gefunden. Mutter hätte auch

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