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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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genau- \ sowenig fertig wie die Eltern und wie Großmutter, die es einfach nicht fassen konnte, über Nacht Milliardärin geworden zu sein, und der es, als der ganze Spuk vorüber war, genausowenig in den Kopf gehen wollte, daß die schönen Scheine mit ihren neun oder gar zwölf Nullen hinter der Eins plötzlich Makulatur sein sollten, gerade wert, um damit den Lokus zu tapezieren.
    In einem sportlich geschnittenen Noppenanzug mit gefältelten Außentaschen und einem breiten Rückengurt, den neuen gelben Halbschuhen, lila Socken, Hochwasserhosen und einer blauen Zopfschleife von Kätchen als Schlips konnte ich mich beim Sonntagsbummel auf dem Markt als Elegant fühlen. Das einzig Störende dabei war, daß ich die schon leicht verschossen hellblaue Mütze nunmehr ins zweite Obersekundaner-Jahr hineintragen mußte und insgeheim die Furcht nicht los wurde, die gleiche Mütze noch ein drittes Jahr tragen zu müssen - wenn mir das durch einen Gnadenerlaß gewährt wurde. Die anfängliche Hoffnung, bei der Wiederholung des gleichen Pensums das Klassenziel mit Glanz und Gloria zu schaffen, sank bald in Asche zusammen. Was nützten die guten Noten in Fächern, in denen ich schon immer gut abgeschnitten hatte, wenn in meinem Schädel dort, wo sich Zahlen und Formeln speichern sollten, einfach ein Vakuum war, das sich jedem Versuch, es aufzufüllen, hartnäckig widersetzte. Die Sache mit dem Horror vacui stimmte bei mir keinesfalls. Was gaben sich Kurt, Paulchen und Alfred mit mir für Mühe, mir wenigstens die elementarsten Grundbegriffe zur Lösung einer einfachen Gleichung einzutrichtern oder die Benutzung der Logarithmentafel zu erklären - sie gaben es als hoffnungslos auf und sahen ein, daß mein Hirn für Mathematik vernagelt war. Wer es leider nicht einsah, war Herr Studienrat Bluhm, der Mathematiker. Er weigerte sich beharrlich, an das Vakuum in meinem Schädel zu glauben, behauptete stur, ein gewisser Sinn für Mathematik lasse sich selbst bei Vollidioten, die in Kortau in der Gummizelle säßen, nachweisen, und ließ sich die Überzeugung nicht nehmen, daß mein Versagen nur in meiner bodenlosen Faulheit zu suchen sei, die höchstens noch durch die Frechheit meines Betragens ihm gegenüber übertroffen werde. - Nun, um die Stunde, in der wir bei ihm eine Klassenarbeit schrieben, nicht ganz ungenutzt vorübergehen zu lassen, füllte ich mein Heft mit Versen...
    Er war ein kleiner Mann mit einem unverhältnismäßig großen Kopf und hatte eine charakteristische Art, seine Hände so in die Jackentaschen zu stecken, daß die Daumen draußen blieben. Befriedigten ihn die Antworten auf seine Fragen, so blieben die Daumen lose nach unten gerichtet, stotterte man, so begannen die Daumen sich aufzurichten und sanken erst wieder herab, wenn man sich der richtigen Lösung näherte, oder hoben sich steil nach oben, wenn die Antwort danebenging. Mich aufzurufen oder an die Tafel zu zitieren, hatte er längst aufgegeben, aber mein bloßer Anblick genügte schon, um seine Daumen steil nach oben schnellen zu lassen. - Er kam in die Klasse, die Hefte mit der letzten schriftlichen Arbeit unterm Arm. Der Primus hatte wieder eine fehlerlose Arbeit abgeliefert und bekam sein Heft mit einer fast zärtlich zu nennenden Geste zurück. Dann wurden Worte und Gesten weniger liebenswürdig, bis er die letzten, mangelhaft oder ungenügend benoteten Arbeiten mit einem Ausdruck unsäglichen Ekels auf die Bänke schleuderte. Ein Heft hatte er zurückbehalten. Er griff danach, als zöge er es aus der Latrine eines in Frankreich kasernierten Zuavenregiments.
    »Und nun hören Sie sich an, wie einer von Ihnen die gestellten Aufgaben gelöst hat. Mit Versen... falls man von Versen sprechen kann...

Mit gelben Birnen hänget
und voll mit wilden Rosen
das Land in den See...

    Ich wiederhole: Das Land hängt in den See - unglaublich!

ihr holden Schwäne
und trunken von Küssen
tunkt ihr das Haupt
ins heilignüchterne Wasser...«

Die Klasse begann zu kichern.
    »Hört sich ganz wie Schiller oder Goethe an, nicht?« sagte Herr Bluhm und brach in ein kurzes Gewieher aus. »Da tunken also die Schwäne besoffen von Küssen die schweren Köpfe ins heilignüchterne Wasser... Also wahrhaftig, blödsinniger geht es wohl nicht...«
    Ich erhob mich langsam und verbeugte mich höflich: »Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Herr Studienrat...«
    »Setzen Sie sich, Sie Unflat!« brüllte er mich an.
    Ich setzte mich nicht. Ich grinste ihm ins Gesicht und fuhr

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